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uns aber nicht einem Gefährt anvertrauen, sondern gehen zu Fuß durch
die Bahnhofsstraße. Vor nicht langer Zeit noch ein Feldweg, hat sie
sich jetzt zu einer schönen Häuserflucht entwickelt, die stattliche Neubauten
aufweist. Auch die nächsten Straßen machen einen freundlichen Eindruck.
Erst in der Mitte der Stadt werden die Straßen enger, die Giebel
schmaler, wie es in den alten Städten Westpreußens zu sein pflegt.
Aber auch diese engeren, älteren Straßen zeigen uns anheimelnde Bilder;
stattliche Kirchen drängen sich zwischen die Eäßchen, und manche seltsame
Giebelfront fesselt einen Augenblick das Auge.
Dann geht es weiter die Höhe empor. Gleich als wir den Bahn¬
hof verließen, fesselte ein stumpfer Turm unsere Aufmerksamkeit, der
weit über das Häusergewirr hinwegragte. Diesen suchen wir nun zu
erreichen; wir behalten ihn im Auge, solange es geht, und suchen dann
den weiteren Weg zu erfragen. „Sie meinen den Klimmeck," ruft man
uns zu, und wir erfahren, daß der Turm im Volksmunde diesen Namen
führt und ein Überrest der früheren Ordensburg ist.
Wir treten aus einem engen Gäßchen an die Weichsel heran und
sehen tief unten ihre Wogen dahingleiten, zu denen das buschige User
in jähem Falle hinabstürzt. Dicht über uns ragt auf dem höchsten
Punkte des Berges der rote Turm, das Ziel unserer Wanderung. Bald
stehen wir auf seiner Plattform und lassen den bewundernden Blick
umherschweifen über das köstliche Bild, das uns umgibt.
Nördlich von uns, von unserm Standpunkt durch eine tiefe Schlucht
getrennt, ragen die Höhen der Feste Courbiere. Sie führt diesen Namen
seit dem Zähre 1894 auf Befehl Kaiser Wilhelms II., um das Andenken
an den preußischen Kommandanten lebendig zu erhalten, der in den
Zähren 1806 und 1807 diesen Platz tapfer verteidigte und den Fran¬
zosen, die ihn zur Übergabe aufforderten, die Antwort gab: „Wenn es
auch keinen König von Preußen gibt, so gibt es doch noch einen König
von Eraudenz." Friedrich Wilhelm III. ließ dem heldenmütigen Ver¬
teidiger der Festung ein Denkmal errichten mit der Znschrift: „Zhm,
dem unerschütterlichen Krieger, verdankt König und Stadt die Erhal¬
tung dieser Feste." Zetzt hat die Feste für Verteidigungszwecke keine
Bedeutung mehr; ihre Gebäude werden größtenteils als Kasernen benutzt.
Östlich und südlich vom Schloßberge dehnt sich die Stadt aus.
Freundliche Gärten umgeben den engen Kern, der sich an die Höhe
anschmiegt; aber neue Straßenzeilen durchschneiden schon das Grün, die
Stadt nach Osten und Süden erweiternd.