aufzuschlagen. Endlich stand die Mutter an einer Bank still. Sie hob
mich hinaus und setzte sich dann neben mich. Eine Weile satz die Mutter
mit tiefgebeugtem Haupte da. Warum sie das wohl tun mag? fragte
ich mich. Daß sie zum lieben Gott gebetet hat, habe ich erst hernach
erfahren. Nun schlug die Mutter ihr Gesangbuch auf, blätterte ein
wenig darin und sing auf einmal ein so helles, lautes Singen an, daß
ich mich unwillkürlich duckte und die Schamröte in meinem Gesicht auf¬
steigen fühlte. Ich schämte mich vor den Leuten, datz meine Mutter
so laut sang. Wie ich dann aber die anderen Leute dasselbe tun sah
und hörte, beruhigte ich mich.
Eine Weile hatte ich mit offenem Munde dagesessen, alles ange¬
starrt und vieles mit meinen kindlichen Gedanken umsponnen. Da fügte
es sich, datz ich wieder mal mit den Händen an meinem Rock herunter-
strich und so an den saftvollen Apfel erinnert ward. Sogleich war mir
das Wasser im Munde zusammengelaufen. Ich spähte nach der Mutter
hinüber und gewahrte, datz sie ganz in ihr Gesangbuch vertieft war
und gar kein Arg aus mir hatte. Zweimal, dreimal zuckte es mich im
Arm; dann bog ich den Kopf seitwärts herab und führte den Apfel zu
ihm empor, behutsam und leise wie eine Maus, die in eine eben erst
still und leer gewordene Stube schleicht. Die Mutter merkte nichts.
Etliche andere Leute waren aber auf mein Tun gleich aufmerksam ge¬
worden, hatten mir, innerlich belustigt, zugesehen und darüber Singen
und alles vergessen. Plötzlich schreckte mich ein Geklingel empor. Ein
schwarzer Mann kam daher gegangen und trug an einer langen Stange
einen kleinen, rauhen Beutel. Eine namenlose Angst befiel mich; denn
ich konnte nicht anders denken, als datz der Mann mich den Apfel hatte
essen sehen.
Als ich wieder aufzublicken wagte, trat gerade der Pastor auf die
Kanzel. Erst wurde mir ganz angst vor der hoch oben stehenden schwarzen
Gestalt, und ich rückte deshalb etwas näher an die Mutter hinan. Wie
ich dann aber die warme, freundliche Sprache vernahm, erkannte ich
auf einmal unseren lieben, alten Herrn Pastor, der so manchmal unter
unserem Lindenbaume mit mir geredet hatte. Erst hörte ich blotz den
Schall seiner Worte; dann aber ging mir auch der Sinn der Worte
auf. Da war eine arme, gute Mutter gewesen. Die hatte einen ein¬
zigen Sohn gehabt, der war so gut mit ihr gewesen und hatte alles
getan, was er ihr an den Augen hatte absehen können. Und die Mutter
hatte sich immer so sehr gefreut, datz sie den Sohn hatte, und datz