Full text: [Teil 2 = Kl. 6 u. 5] (Teil 2 = Kl. 6 u. 5)

weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarzhaarig wie Eben¬ 
holz und ward darum das Sneewittchen (Schneeweißchen) genannt. 
Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. 
Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. 
Es war eine schöne Frau; aber sie war stolz und übermütig und 5 
konnte nicht leiden, daß sie an Schönheit von jemand sollte über¬ 
troffen werden. Sie hatte einen wunderbaren Spiegel. Wenn sie vor 
den trat und sich darin beschaute, sprach sie: 
„Spieglein, Spieglein an der Wand, 
wer ist die Schönste im ganzen Land?“ 10 
so antwortete der Spiegel: 
„Frau Königin, Ihr seid die Schönste im Land.“ 
Da war sie zufrieden; denn sie wußte, daß der Spiegel die Wahr¬ 
heit sagte. 
Sneewittchen aber wuchs heran und wurde immer schöner, 15 
und als es sieben Jahr alt war, war es so schön wie der klare 
Tag und schöner als die Königin selbst. Als diese einmal ihren 
Spiegel fragte: 
„Spieglein, Spieglein an der Wand, 
wer ist die Schönste im ganzen Land?“ 20 
antwortete er: 
„Frau Königin, Ihr seid die Schönste hier; 
aber Sneewittchen ist tausendmal schöner als Ihr.“ 
Da erschrak die Königin und ward gelb und grün vor Neid. Von 
Stund an, wenn sie Sneewittchen erblickte, kehrte sich ihr das 25 
Herz im Leibe herum, so haßte sie das Mädchen. Und der Neid 
und Hochmut wuchsen wie ein Unkraut in ihrem Herzen immer 
höher, daß sie Tag und Nacht keine Ruhe mehr hatte. Da rief 
sie einen Jäger und sprach: „Bring das Kind hinaus in den Wald, 
ich will’s nicht mehr vor meinen Augen sehen! Du sollst es töten 30 
und mir Lunge und Leber zum Wahrzeichen mitbringen.“ 
Der Jäger gehorchte und führte es hinaus, und als er den 
Hirschfänger gezogen hatte und Sneewittchens unschuldiges Herz 
durchbohren wollte, fing es an zu weinen und sprach: „Ach, lieber 
Jäger, laß mir mein Leben! Ich will in den wilden Wald laufen 35 
und nimmermehr wieder heimkommen.“ Und weil es so schön 
war, hatte der Jäger Mitleiden und sprach: „So lauf hin, du armes 
Kind! Die wilden Tiere werden dich bald gefressen .haben,“ 
dachte er, und doch war’s ihm, als wär' ihm ein Stein von seinem 
Herzen gewälzt, weil er es nicht zu töten brauchte. Und als gerade 40 
ein junger Frischling daher gesprungen kam, stach er ihn ab, nahm 
Lunge und Leber heraus und brachte sie als Wahrzeichen der
	        
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