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hat, als wenn der Halm ein Bindebaum wäre!“ Sodann schlug er
mit den Händen mehrfach auf die Kniee seiner Lederhose und
lachte unbändig. Zwischendurch aber rief er, wie die Zimmerleute
tun, wenn sie schwere Balken bewegen: „Holz komm! Holz komm!“
5 und höhnte das Männlein auf alle Weise.
Dieses aber ward im Gesicht so blutrot wie seine Mütze und
warf zornig funkelnde Blicke um sich. Es schleppte, so rasch es
vermochte, den Halm in das Loch hinein, und an dem hastigen
Hin- und Herfliegen des vorstehenden Endes konnte man wohl
10 bemerken, mit welcher Wut es inwendig zog und zerrte, bis der
letzte Zipfel verschwunden war.
Am andern Tage, als der Bauer selbst kam, um dem Wichtlein
die Gerstenähre zu geben, wartete er vergebens: es erschien niemand.
Er rief es mit schmeichlerischen Worten und gab ihm die schönsten
15 Namen; allein alles war umsonst. Auch am folgenden Tage kam
es nicht, und so oft auch der Bauer um die Mittagszeit noch sein
Heil versuchte, das Männlein war und blieb verschwunden.
Wie oft hat es der Bauer noch bereut, daß er damals nicht
selbst gegangen ist und seinem Knechte vertraut hat; denn von nun
20 ab ging alles quer. Das Vieh stand an den Raufen und fraß und
fraß Berge von Futter in sich hinein, und wenn alles verschlungen
war, sah es sich mit glühenden, hungrigen Augen nach mehr um.
Dabei ward es jedoch immer rauher und magerer, die Kühe gaben
wenig dünne und blaue Milch, und den Pferden standen die Hüft-
25 knochen also vor, daß der Knecht seinen Hut dort hätte anhängen
können, wenn er gewollt hätte. Die Schweine wurden hochbeinig
und dünn, und wenn sie einmal aus dem Stalle gelassen wurden,
da rannten sie wie die Windhunde auf dem Hofe umher, was für
ein Schwein eine ganz törichte Kunstfertigkeit ist. Und mit den
30 Hühnern war s auch vorbei. Sie kriegten den Pips und legten
Windeier, und wenn sie einmal ein ordentliches zu Gange brachten,
so fraßen sie es auf.
Als der Bauer nun sah, wie alles hinter sich ging, verlor er
ganz die Lust an seinem Anwesen, und als er ein gutes Angebot
35 erhielt, verkaufte er es. Er ist dann weit fortgezogen nach Ru߬
land ZU. Seidel, Wintermärchen. Stuttgart, Cotta, 1901, 2. Bd., S. 151.
33. Das brave Mütterchen. Bon Karl MMenhof.
es war im Winter, und das Eis stand. Da beschlossen die Bewohner
der Stadt Husum, ein großes Fest zu feiern. Sie schlugen Zelte
40 auf, und die ganze Stadt, alt und jung, versammelte sich draußen. Die
einen liefen Schlittschuh, die andern fuhren im Schlitten, in den Zelten