Full text: [Teil 2 = Kl. 6 u. 5] (Teil 2 = Kl. 6 u. 5)

gerade so schon, und wenn er auch unter den Füßen bald grau und 
schmutzig wurde — an den Simsen der Kellerfenster, des Erdgeschosses 
und an dem Holzzaun lag er ganz weiß aufgehäuft und so recht einladend 
zum Schneebällen. Albert Schlösselmann kam etwas später heraus, als 
das Spiel schon im vollen Gange war. Er hatte es übernommen, für 
die Blumen zu sorgen, die an den Fenstern seiner Klasse standen. Bei 
einer Tulpe, die schon eben eine ganz kleine Knospe zwischen den zu¬ 
sammengefalteten Blättern ahnen ließ, hatte er sich länger aufgehalten. 
Eben wollte Albert zu den Jungen seiner Klasse gehen, als er 
bemerkte, daß in einer Ecke des Hofes, wo die Kleinen gewöhnlich spielten, 
etwas Besonderes los war. Ganz still war es dort, wo die Schüler der 
siebenten Klasse dicht beieinander standen; aber die Schneebälle flogen 
durch die Luft wie Schneeflocken und allesamt nach einer Richtung. 
Albert Schlösselmann trat zu dem Haufen und guckte sich die Ge¬ 
schichte in der Nähe an. 
Da sah er etwas ganz Merkwürdiges. Die Schüler hatten einen 
dreifachen Kreis gebildet um einen kleinen, ganz kleinen Jungen, der auf 
der Erde kauerte und sich das Gesicht mit den Händen zu schützen suchte. 
Und auf den unbedeckten Kopf dieses Jungen, der keinen Laut von sich 
gab, wurden die Schneebällen geworfen wie auf eine Zielscheibe. 
Mit einem kräftigen Rucke drängte sich Albert Schlösselmann in den 
Kreis. Sein Gesicht rötete sich, sein Herz klopfte. 
,,Was soll das heißen?" schrie er in zornigem Tone. ,,Warum fallt 
ihr alle über einen her? Ihr seid Feiglinge alle miteinander!" 
Die Schüler hörten mit dem Wersen auf und begannen heftig durch¬ 
einander zu sprechen und zu rufen: „Er neckt uns immer! Er will 
immer alles besser wissen!" 
Aber Albert Schlösselmann hörte nicht auf sie, er stieß sie beiseite. 
„Steh auf, du! Steh doch auf, Robert Schmidt! Warum läßt du 
dir das gefallen?" schrie er dem Kleinen zu, indem er aus ihn zuging 
und ihn an der Schulter faßte. 
Robert nahm langsam eine Hand vom Gesicht, seine Augen waren 
wie geschwollen vom Weinen; aber um seinen Mund zitterte es verächtlich. 
Mit Mühe stand er auf, er war verwachsen, die Brust eng und eingefallen. 
Sein Anzug war voll trockenen Schnees; aber er hatte eine Schramme 
am Halse und eine an der Backe. Langsam nahm er sich einen nassen 
Schneeklumpen aus dem Halsausschnitt seiner Jacke — es steckte ein 
kleiner Stein in dem Schneeball. 
Robert besah den Stein, dann blickte er seine Mitschüler zornig an 
und drängte sich weg durch die Knaben, die ihm jetzt Platz machten. 
Alle schwiegen einen Augenblick, alle sahen nach Albert Schlösselmann, 
den sie sehr gern leiden mochten, da er sich oft mit ihnen abgab. 
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