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207. Triest.
fluten der Donau und die grünenden, blühenden Auen; die Fernen
umfasst ein Alpengurt und an den näheren Bergen hängen Wälder
wie grünes Moos. Man übersieht die Residenzstadt mit einem Bhck
in ihrer ganzen Herrlichkeit und Pracht, man sieht sie in der Fülle
ihres Lebens.
Und dieses ist ganz bedeutend. Sieben Bahnen, deren Schienen¬
stränge mit ihren weitverzweigten Ausästungen alle Teile des Reiches
durchziehen, münden in Wien. Daneben herrscht auf der Donau und
dem Donaukanal reges Leben; denn Wien bildet den Mittelpunkt
des Handels, von dem aus sich der Warenverkehr im Innern der
Monarchie entwickelt und insbesondere die Mode- und Luxusartikel
bezogen werden. Auch im Ausland hat sich die Wiener Industrie
bedeutende Absatzgebiete erobert. Im Verein mit den Vororten fabriziert
Wien alle Arten von Baumwollwaren, Seidenzeugen, Gold- und Silber¬
arbeiten, Schlosser-, Galanterie- und Tischlerwaren, feuerfeste Kassen
und Schränke, Wagen, Klaviere, Handschuhe u. s. w. Ausgezeichnet
ist auch die Bierbrauerei. Mächtig entwickelt sich das Geld- und
Kreditwesen, dessen Mittelpunkt die Börse ist. Dabei herrscht in der
schönen Donaustadt Frohsinn und heiteres, geselliges Leben; denn
sie ist auch der Sammelpunkt der gesellschaftlichen Kreise des ganzen
Landes.
207. Kriest.
An dem Golf, woselbst das Adriatische Meer am tiefsten in den Leib
Europas einschneidet und das heutige Triest liegt, gründeten einst die Römer
die Stadt Tergeste. Der Punkt, wo sie das Kastell und die Stadt anlegten,
wurde von ihnen aus militärischen Gründen gewählt; denn hätten die Römer
eine Handelsstation gründen wollen, so hätten sie Wohl die naheliegende
Bucht von Muggia vorgezogen. Ihr Handelshafen war das benachbarte
A q u i i e | a.
Triest besaß bis in die neuere Zeit keinen guten Hafen, sondern nur
eine gegen Stürme wenig geschützte Reede. Während des ganzen Mittelalters,
selbst bis in das 17. Jahrhundert konnte sich größtenteils aus diesem Grunde
Triest neben Venedig, welches sehr vorteilhast gelegen ist und die Allein¬
herrschaft auf der Adria zu behaupten verstand, nicht heben.
Zwei Umständen verdankt Triest seine jetzige Blüte: dem Niedergang
Venedigs und noch mehr der außerordentlichen Pflege, welche die Regenten
aus dem Hause Habsburg unablässig, namentlich aber seit den Tagen Kaiser
Karls VI., diesem Seeplatze zuwandten. Seit dem Jahre 1382 ist Triest mit
den österreichischen Erblanden verbunden. Kaiser Karl VI. brach zuerst die
erdrückende Übermacht Venedigs, indem er in seinem denkwürdigen Patent vom
2. Juni 1717 die Adria für den Schiffsverkehr frei erklärte und jede seinen
Untertanen zugefügte Unbill mit strenger Ahndung bedrohte. Im Jahre 1719
erhob er Triest zum Freihafen, stattete es mit kommerziellen und nautischen Ein¬
richtungen aus und zog durch Verleihung von Privilegien fremde Kaufleute,
vor allem handelsgewandte Griechen, nach Triest. Von höchster Bedeutung
für die Stadt und den jungen österreichischen Seehandel war die Gründung