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der Bankier nur noch mit einem kühnen Mann allein. Mit heldenmütiger
Aufopferung half der alte Meister Tellering beim Aufbrechen der
Schränke, bis er von einer niederstürzenden Decke getroffen und ge¬
fährlich verwundet wurde. Da trug der Bankier den Greis auf seinen
breiten Schultern aus dem Gebäude; hinter den beiden stürzte das
Haus in sich zusammen, und in der Gasse sank Ludwig Tellering mit
wildem Angst- und Schmerzensruf neben seinem Vater nieder. Der
bewußtlose Meister wurde auf einer Bahre in seine dunkle Hof Woh¬
nung zurückgetragen, begleitet und unterstützt von manchem ver¬
sengten, rauchgeschwärzten Handwerksgenossen.
2. Dunkel war der Hof von Nummer zwölf der Musikantengasse,
noch dunkler fast die niedre Wohnung, deren Fenster auf den engen
Raum gingen, wo einem der Hut vom Kopfe fiel, wenn man nach
dem Stückchen blauen Himmels über den Dächern sehen wollte. Aber
wie viel Sonnenschein hatten die guten Menschen, welche hier wohnten,
in diese dämmerigen Räume hineingetragen! Diese dunkeln Wände
hatten oft heller geglänzt als königliche Säle voll unzähliger Wachs¬
kerzen. Da war ein Winkel hinter dem Ofen, ein Winkel, in welchem
ein uralter Lehnstuhl stand, und Winkel und Lehnstuhl hatten einen
Schein von sich gegeben, mit dem nichts zu vergleichen war. Jeder
Gegenstand in der Wohnstube, der Werkstatt, den Kammern, der Küche
hatte sein eignes Leuchten gehabt. Echtester, wahrster Goldglanz
hatte den Hammer, den Topf, den Kessel umspielt; Fluten von Licht
hatte der ärmliche Spiegel über das Gesichtchen Luise Tellerings
gegossen — nun sollte alles erlöschen, alles in die tiefste Finsternis
versinken. Wie die Hand der Frau Anna das verdunkelnde Tuch über
den Käfig des Kanarienvogels hing, damit der kleine, fröhliche Sänger
den kranken Meister nicht auch noch störe im qualvollen Fieber¬
schlummer, so warf das Geschick den schwarzen Schleier über das
ganze arme Hauswesen.
Mit gesträubten Federn und eingezogenem Köpfchen saß der
Vogel auf der Stange und wunderte sich über die lange Nacht, welche
gar kein Ende nehmen wollte. Ebenso verstört, verschüchtert, aber
viel schmerzensreicher saßen Mutter und Kinder der Familie Telle¬
ring um das Lager des unsäglich leidenden Hausvaters. Verstummt
waren die hellen Stimmen; der kleine Vogel sang nicht mehr; Lud¬
wig sang nicht mehr; Luise sang nicht mehr.
3. Der alte Mann erduldete die größten körperlichen Schmer¬
zen, welche es gibt, die Qualen, die das Feuer dem menschlichen Leibe
zufügt, und die treuste Pflege konnte diese Pein nicht im mindesten
lindern, so wenig wie die Kunst des Sanitätsrats Pfingsten es ver¬
mochte. Nur Mannesmut konnte hier helfen, und mit dem Mut des