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des Königs Salomo standen mit Schwertern in den Händen sechzig Starke,
geschickt zum Streiten, „um der Furcht willen in der Nacht"; zu Häupten
der Witwe und ihres Kindes jedoch stand ein Geist, der bessere Wacht hielt
als alle Gewappneten in Israel.
Fünfzehn Jahre später.
(Hans hat mit Ehren die lateinische Schule durchgemacht und mit Hilfe der mütter¬
lichen Ersparnisse sowohl als durch die Unterstützung wohlwollender Menschen in der
fernen Universitätsstadt Theologie studiert. Da, als er eben seine Prüfungsarbeiten
beginnen will, ruft ihn ein Brief des Oheims an das Sterbebett der Mutter; augen¬
blicklich folgt er dem Rufe. Der Brief aber lautete:)
Liebwertester Nevö!
Teuerster Bruder Studio!
Wenn Du, wie nicht zu erwägen steht, von wegen Deines seligen
Vaters in Erfahrung gebracht haben wirst, daß der Mensch nicht ewig lebt
allhier auf dieser Erde, sondern datz des Menschen Leben seine Zeit währet,
und er schon zufrieden sein mutz, wenn er nicht schon vor der Zeit abfährt
und nach dem Kirchhof abgefahren wird, und sintemalen und alldieweilen
Du nun ein angehender Pastore bist und in Gottes Wort erzogen bist und
sonsten ein verträgliches Gemüt hast; — so verhoffen wir, als wie ich,
Deine Mutter und die Base Schlotterbeck, datz Du dieses Schreiben Dir
nicht zu sehr zu Herzen nehmen wirst. Denn mit Deiner Mutter steht es
schlecht! Wir haben länglich geschwiegen, weil es leise anging, und wir
vermeinten, es solle besser werden, ehe wir Dir Nachricht von dem Malör
gäben. Aber nun ist's aus und am Ende, schlechter kann's nicht werden,
und wir vermelden es Dir hiermit, Du mutzt den Bündel auf den Buckel
laden und als ein geistlicher Mensche zeigen, datz Du den Trost nicht
blotz für andere in der Tasche trägst. Habe Dir also nicht zu schrecklich
und unvernünftig über das, was in diesem selbigen Brief Dir zukommt.
Deiner Mutter, der guten Seele, ist es denn wohl zu gönnen, datz sie
einen sanften Tod hat und sich nicht allzu elend und langweilig hinquälen
mutz, ehe ihr der Odem stille steht. Aber der Doktor sagt, es kann nicht
sein, und sie wird noch viel Drangsal leiden, ehe der liebe Gott sie zu
sich nimmt. Du mutzt Dich also darein finden, mein Junge, latz es gehen,
wie's geht, ich sage nichts weiter. Die Frau hat aber grausame Sehn¬
sucht nach Dir, und wenn Du abkommen kannst von Deiner Gelehrsam¬
keit, und die Herren Lehrerprofessors Dich loslassen wollen, so wäre es
uns sehr angenehmlich, wenn Du Dein Wanderbuch so schnell als möglich
hierher visieren lassen wolltest.
Deine Mutter hat es wohl um Dich verdient, datz sie Trost an Dir
hat in ihren letzten Tagen und grotzen Schmerzen; denn sie hat die zurück¬
getretene Gicht, und das Wasser und Waschen hat ihr den Dampf an¬