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beklommen und der Kopf schwer, und selbst Zucker, Kuchen und
Kaffee schmeckten ihr nicht recht. Was nutzt aller Reichtum, wenn
man ihn mit niemand teilen kann?
III. Wie Summ-Summ von ihren Verwandten verstoßen wurde.
1. Der Winter ging endlich auch vorbei, der Frühling kam, die
Sonne schien wieder hell und warm, und draußen konnte man an
den dürren Zweigen der beiden Bäume im Garten einen grünen An¬
flug bemerken.
Da geschah eines Vormittags etwas Wunderbares. Marie öffnete
das Küchenfenster ganz weit, würzig frische Luft strömte ein, die
Summ-Summ zuerst schaudern machte, dann aber verjüngte und neu
belebte. Nach einigem Zaudern wagte sie, ihren Winkel zwischen
Decke und Wand zu verlassen und bis ans geöffnete Fenster zu fliegen.
Und siehe da — kaum war sie hinausgelangt, da hörte sie rings
herum das teure, lang entbehrte Summen der Ihrigen, eine ganze
Schar schöner, junger, glitzernder, prächtig behender Fliegen tummelte
sich und tanzte und spielte im Sonnenschein, und Summ-Summ stürzte
sich freudetrunken taumelnd mitten in ihren Schwarm und eilte mit
weit ausgebreiteten Flügeln auf die eine und die andre zu, die ihr
am nächsten waren, und suchte sie zu erfassen und an ihre Brust zu
ziehen und zu küssen, und sie rief mit halberstickter Stimme: „Schwe¬
stern, teure Schwestern, ach, daß ich es erlebt habe, euch wieder-
zusehn!“
Die Fliegen stoben aber auseinander und kreisten in scheuer Ent¬
fernung um sie und starrten sie an. Dann rief die eine: „Wer ist
denn diese Vogelscheuche?“ Und die andre gickste: „Seht mal die
dicke Trude!“ Und die dritte kicherte: „Madam, Ihre Flügel sind heut
nicht gebürstet!“ Und alle lachten.
2. Summ-Summ war betroffen und gekränkt. Es wurde ihr schwer,
so lange in der Luft zu schweben, und sie ließ sich auf die Fenster¬
bank nieder. Traurig sagte sie: „Kennt mich denn keine von euch?
Ich bin ja Summ-Summ!“ Und sie nannte ihnen die Namen von vielen
Schwestern und Basen und Freundinnen, die im Jahre vorher mit ihr
jung gewesen waren und sich des Lebens gefreut hatten.
Aber das neue Fliegengeschlecht kannte keinen dieser Namen, und
je mehr unbekannte Namen die arme Summ-Summ auszählte, um so
mißtrauischer und feindlicher wurden die jungen Fliegen, und sie
summten einander zu: „Nehmen wir uns in acht, sie ist eine Schwind¬
lerin!“
„So kommt doch! So glaubt mir doch!“ bat Summ-Summ angst¬
voll. „Seht, im vergangnen Jahre hatte ich so viele Geschwister und