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Nachmittags drehte das Schiff bei, um zu loten. „Fünfzehn Faden;
Sand mit roten Steinchen!" lautete der Bericht des Steuermannes.
„Hurra!" jubelt die Mannschaft, „Borkum-Riff! Morgen sind wir
da und feiern Neujahr daheim."
Ja, es war deutscher Boden, den der mit Talg gefüllte, ausgehöhlte
Fuß des Lotes heraufgebracht hatte.
Von der Insel Borkum streckt sich ein schmaler Streifen nordwärts
fünf bis sechs Meilen weit. Er ist mit diesem rötlichen Sande bedeckt,
der sich sonst nirgends in der Nordsee findet. Dieser Streifen heißt
Borkum-Riff, und wenn die Schiffe ihn anloten, dann gibt er ihnen
genau ihre Lage an.
Deutscher Boden, Heimat — endlich, nach so langer, langer Zeit!
Wie freudig klopfen die Herzen!
Der Kapitän hat, auf dem Halbdeck stehend, die Meldung des
Steuermannes empfangen. O, auch er sehnt sich von Herzen nach der
Heimat, nach Weib und Kind, von denen er so lange getrennt gewesen.
Auch er hofft, das neue Jahr mit ihnen zu feiern, die in banger Sorge
seiner Rückkunft geharrt. Aber noch spiegelt sich auf seinem Antlitz keine
Freude; denn bange Zweifel verscheuchen sie.
Dort am Horizonte tauchen viele Segler auf. Er mustert jeden scharf
mit seinem Fernrohre, doch nirgends zeigt sich, was er so eifrig sucht.
Der Lotsenkutter mit der Flagge an der langen Stange, die ihn auf Meilen
kenntlich macht, befindet sich nicht unter ihnen.
Im Westen steigt langsam eine dunkle Bank drohend am Horizont
empor, und das Barometer fällt. Wie lange wird das gute Wetter noch
anhalten? Vielleicht bis zum nächsten Tage, vielleicht aber bricht auch
schon in der Nacht der Sturm wieder los, und wer sagt, mit welcher
Gewalt und Dauer in dieser Jahreszeit?
Für den Kapitän hat ja der Sturm sonst nichts Furchtbares. Wie
viele hat er in seinem Leben überstanden, wie viele selbst auf der letzten
Reise! Wie sie auch tobten — mit einem guten Schiffe unter den Füßen
nimmt der Seemann getrost den Kampf mit ihnen auf. Doch in engem
Fahrwasser, ohne Sonne und Mond, mit unbekannten Strömungen und
Untiefen, wie sie das Einlaufen in unsere nordischen Ströme so gefahr¬
voll machen, und durch die nur ein erfahrener Lotse den Weg führen
kann — da hat eine dunkle, stürmische Winternacht ihre Schrecken.
Die Brise frischt auf. Unter ihrem Drucke jagt das Schiff schneller
und schneller durch die Fluten; aber auch jene finstere Bank steigt höher.
Einzelne Flecken reißen sich von ihr los und jagen wild über die graue,
bleierne Wolkendecke. Das Barometer bleibt im Fallen, und die Nacht
bricht herein.
Dietleins Deutsches Lesebuch Ausg. D Teil III. 8. Aust.
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