II. Umgang mit dem Nächsten.
30. Arm aber ehrlich.
(Siehe Teil II No. 12. Unsre Mutter. Band IIIA No. 222. Meine Konfirmation.)
1. Bis das Mähen auf dem Anger anfing, pflegte unser Vater
noch täglich nach dem Holzhauen zu gehen. Mittags wurde ihm ein
warmes Essen im Henkeltopfe hinausgebracht. Konnte die Mutter
frei kommen, so ging sie gern selber; sonst besorgten es etliche von
uns Kindern. Es galt dann aber Tragkorb und Laken mitzunehmen,
um vom jungen Hau Reisig und Späne mitzubringen.
Wir hatten ein schlimmes Aprilwetter gehabt, und die Mutter
hatte uns längere Zeit nicht ins Holz gehen lassen. Da merkten wir
erst, wie gern wir trotz aller Beschwernisse gingen, und als der April
sich zu Tode getobt hatte und der junge Mai durch die Linde lachte,
hätten uns keine vier Pferde mehr halten können. Den Henkeltopf in
die Hand, den Tragkorb auf den Rücken, das Holzlaken um die Schulter
— und fort ging's.
2. Noch konnten wir die schmalen Lichtstreifen am Waldsaume
hinter uns gewahren, als plötzlich droben in den Hangbäumen, erst
weiter, dann näher, die vollsten, klarsten Kuckucksrufe ertönten. Wie
gebannt lauschten wir: Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck! Kuckuck! Un¬
beschreiblich war unsre Wonne, und sie entlud sich in dem einstim¬
migen, unaufhörlich erneuerten Rufe: „Kuckuck, sniet Wost un Speck
up!" Dann kehrte ein jeder seine Taschen um, ob sich nicht ein
Stückchen Brot darin finden möchte. Es fand sich leider keins,
und das war traurig; denn wer beim ersten Kuckucksrufe kein Brot
in der Tasche hat, der kriegt auch das ganze Jahr keins hinein.
Die Patin hatte ich oft sagen hören: Wenn man den Kuckuck
zum erstenmal höre und einen Pfennig in der Tasche habe, würde einem
das ganze Jahr das Geld nicht ausgehen. Und wenn man kein Geld
bei sich trage oder gar ein Geldstück ,verlöre, würde man auch das
ganze Jahr Mangel daran leiden.
Ein Pfennig wäre schon genug gewesen. Aber was half uns das“: