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Sohn, der in einem Nachbardorfe bereits Lehrer war, hat vor etlichen Jahren seine
Stelle aufgegeben und ist Opernsänger geworden. Daß er ein wirklicher, ein großer
Künstler ist, weiß der alte Vater nicht zu würdigen; für ihn ist jeder Schauspieler ein
Possenreißer. Die Heirat seines Sohnes mit einer Sängerin kann er ihm auch nicht ver¬
zeihen, so trägt er um den einst so geliebten Sohn schweres Leid. Aber das ist nicht
das einzige! Einen Prozeß, den er mehrere Jahre um einen Acker gegen den Tischler
Klintze geführt, hat er verloren; gleich nach Neujahr soll sein Haus versteigert werden.
Nur schwer gelingt es der Frau, den verbitterten Mann zum Besuch des Christabend-
gottesdienstes zu bewegen.)
1. Im blendenden Kerzenschimmer erstrahlt das Fichtenhagener
Gotteshaus. Ein mächtiger Tannenbaum erhebt sich auf den ausgetrete¬
nen Steinfliesen vorm Altar. Links etwas vor, überm Armenblock, am
Kirchenvorsteherstuhl prangt im dichten Tannenzweigrahmen mit
Knittergoldfahnen ein kerzenerhelltes, großartiges Transparentbild der
Geburt Christi, gestiftet vom reichen Vollmaier Christoph Wesemann.
Wie feierlich sich das Bild doch macht! Sogar der gute, dicke Ochse,
der nachdenkliche Esel und die neugierigen Schafe hinter der Krippe
haben ganz verklärte Mienen. Für einen ordentlichen, feierlichen
Christabendgottesdienst lassen sich Pastor Barthels und Kantor Kon-
ring aber auch wirklich keine Mühe verdrießen! Auch das Lutherbild
an der rechten Priechenwand hat der treffliche Kantor in der letzten
Minute noch schnell mit Tannenzweigen geschmückt.
Na, Fichtenhagener, heut stehn euch Überraschungen bevor!
Heute werdet ihr schön was erleben! Nicht nur die neuen Posaunen
— macht euch noch auf mehr gefaßt!
So ’ne merkwürdig geheimnisvolle Andeutung hatte der Kantor
gemacht, als er nach dem Mittagbrot die Schnarrwerke in der Orgel
schnell nochmal durchstimmte. Spornstreichs ins Backhaus zu den
backenden Weibern war Bälgentreter Lühmann, der sich immer gern
aufspielt, gerannt — nach knapp einer halben Stunde war’s herum
und zerbrach man sich in allen Häusern den Kopf über Lühmanns phan¬
tastische Vermutungen. Und gleich darauf die zweispännige „zue"
Kutsche, die beim Kantor vorgefahren kam, und der vornehme Stadt-
herr und die Stadtmadame, die ausgestiegen waren? Kantors heute
so’n vornehmen Besuch? Unerhört! Der Kutscher hatte im Pase-
mannschen Gasthaus „Zum vier Linden" ausgespannt und gefüttert,
aber der Däemelklas, es war nichts weiter aus ihm herauszubringen,
als: „Sei sünd in Ülzen van de Iserbahn affstegen."
Die Aufregung im Dorfe steigerte sich von Minute zu Minute.
Auch auf die Posaun er kam man immer wieder zu sprechen, wenn man
von frischem hörte, wie sie in allen Ecken im Dorfe den ganzen Nach¬
mittag über übten, jeder einzeln für sich.
Frau Kantorin und Minna hatten am Morgen beim Kaufmann Kiehn