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120. Das Bekenntnis Kaiser Wilhelms II. bei der Einweihung
der Erlöserkirche in Jerusalem am 21. Oktober 1898.
1. Der einunddreißigste Oktober (1898), der Tag der Reformation
und der Einweihung der erneuerten Schloßkirche zu Wittenberg, war
vom Kaiser auch für die Einweihung der Erlöserkirche ausersehen.
-Der Segen war gesprochen, das dreimalige Amen der Gemeinde
war verklungen, da entstand plötzlich eine allgemeine Bewegung. Aller
Augen richteten sich nach dem Altare hin. Es geschah etwas ganz
Unerwartetes. Seine Majestät der Kaiser schritt die Stufen zum
Altare hinan, kniete nieder zum Gebet, wandte dann der Gemeinde sein
Antlitz zu, trat vor ein Lesepult und verlas langsam und feierlich, mit
tiefem Ernste jenes mächtige, herrliche Bekenntnis, welches nicht
nur durch seine edle, gedankenvolle Sprache, nicht nur durch seinen
milden, wahrhaft evangelischen Inhalt, sondern vor allem durch sein
unverbrüchliches Festhalten am informatorischen Glauben sich aus¬
zeichnet:
2. „Gott hat in Gnaden Uns verliehen, daß Wir in dieser allen
Christen heiligen Stadt, an einer durch ritterliche Liebesarbeit geweih¬
ten Stätte das dem Erlöser der Welt zu Ehren errichtete Gotteshaus
haben weihen können. Was Meine in Gott ruhenden Vorfahren seit
mehr als einem halben Jahrhundert ersehnt und als Förderer und
Beschützer der hier im evangelischen Sinne gegründeten Liebeswerke
erstrebt haben, das hat durch die Erbauung und Einweihung der Er¬
löserkirche Erfüllung gefunden. Mit der werbenden Kraft dienender
Liebe sollen hier die Herzen zu dem geführt werden, in dem allein das
geängstigte Menschenherz Heil, Ruhe und Frieden findet für Zeit
und Ewigkeit. Mit fürbittender Teilnahme begleitet die evangelische
Christenheit weit über Deutschlands Grenzen hinaus unsre Feier. Die
Abgesandten der evangelischen Kirchengemeinschaften und zahlreiche
evangelische Glaubensgenossen aus aller Welt sind mit uns liier her¬
gekommen, persönlich Zeugen zu sein der Vollendung des Glaubens¬
und Liebeswerkes, durch welches der Name des höchsten Herrn und
Erlösers verherrlicht und der Bau des Reiches Gottes auf Erden ge¬
fördert werden soll.
Jerusalem, die hochgebaute Stadt, in der unsre Füße stehen, ruft
die Erinnerung wach an die gewaltige Erlösungstat unsers Herrn
und Heilands. Sie bezeugt uns die gemeinsame Wahrheit, welche alle
Christen über den Konfessionen und Nationen im apostolischen Glauben
eint. Die welterneuernde Kraft des von hier ausgegangnen Evangeliums
treibt uns in treuer Nachfolge des einigen Erlösers zur Übung christ¬
licher Barmherzigkeit an den Schwachen und Kranken. Sie mahnt