245
ob die Natur den Atem anhielte und auf den Geiger lausdite;
die roten Lilien neigen sich und wenden ihm all ihre Pracht
zu, und es sieht aus, als wenn gar der Baum und der mond¬
beschienene Ast die Bewegung seines Hauptes begleiteten.
Das ganze Bild wirkt wie ein Abendlied, aus dem uns in sanf¬
ten Tönen Ruhe und Hoffnung entgegenklingen. Den Dichter
Gustav Falke hat das Bild zu einigen Versen angeregt. Er
will damit keine genaue Beschreibung des Bildes geben. Auf
die Einzelheiten kommt es dem Dichter nicht an, ob der Jüng¬
ling ein Geigenmacher ist oder nicht, ob er auf einer Linden¬
bank sitzt oder nicht, er sieht eben in seiner Seele ein ähn¬
liches Bild, und ähnliche Gefühle werden in ihm wach, die er
mit dem Kunstmittel des Wortes so äußert:
„Hat der junge Geigenmacher
Mit dem Tagwerk aufgeräumt,
Sitzt er gern, ein selig wacher,
Auf der Lindenbank und träumt.
Auf der schönsten seiner Geigen
Träumt er einen Herzenstraum,
Vollmond steigt und Sterne steigen,
* Silbern steht der Blütenbaum.
Wie die weichen Töne singen,
Wird es stiller, als es war,
Und die Gartenlilien bringen
Alle ihre Düfte dar.
Nicht ein Hauch aus Wälderfernen,
Nicht ein Laut fällt störend ein,
Über Blumen, unter Sternen,
Klingt das süße Lied allein.“
Auf dem andern Bilde, es nimmt sich wie ein Gegenstück
aus, sitzt ein älterer Mann am Rande einer Steinbank und geigt.
Er sitzt in einem Winkel des Obstgartens. Hoch wächst das
wilde Gras um ihn, und Disteln ragen daraus hervor. Es ist
wieder Sommerzeit. Der Abend rückt näher. Dieser Geiger
blickt nicht in die Ferne, wir sehen sein Auge nicht, er blickt
in sich hinein. Wir können wissen, wie es in ihm aussieht.
Die scharfen Furchen zwischen den Augenbrauen, unter den
Augen, von der Nase zum Kinn reden eine deutliche Sprache.
Ein Leben liegt hinter ihm, das Leid und Sorge gebracht hat,
Enttäuschung, Unglück und — Schuld? Hinter ihm sehen wir
einen starken Stamm mit rissiger, knorriger Rinde, in seiner