Full text: [Bd. 3 B = Oberstufe d. Mädchen, (7. - 9. Schulj.)] (Bd. 3 B = Oberstufe d. Mädchen, (7. - 9. Schulj.))

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tippe bilden sich schwebende Perlen baumelnden Eises. Steckt man 
die Zunge heraus, so friert sie sogleich an diese Eiskruste an, und 
eine schleunige Anstrengung und gehörige Nachhilfe mit der Hand 
ist nötig, um sie wieder frei zu machen. Je weniger man spricht, 
desto besser ist es. Das Kinn hat eine besondere Leidenschaft, an 
die obere Kinnlade mittels des Bartes anzufrieren. Sogar meine 
Augen sind oft zusammengeleimt gewesen, und ich habe erlebt, daß 
schon ein vorübergehendes Schließen der Lider gefährlich werden 
kann. Die Külte des Eisens an unsern Büchsen fängt an, durch die 
beiden Paare wollener Fausthandschuhe hindurchzudringen und ver¬ 
ursacht eine Empfindung wie von heißem Wasser. Bis jetzt haben 
wir dem Wind den Rücken gekehrt und uns ganz behaglich dabei be¬ 
funden; ja, das Vorwärtsschreiten hat uns sogar warm gemacht. 
Jetzt machen wir kehrt und gehen dem Wind entgegen. Was für 
eine Veränderung! Schneidend rinnt die Kälte am Rücken herunter, 
dringt durch jede Tasche, durch jede Öffnung. Ein Messer in meiner 
Tasche, das bis jetzt ganz warm gewesen war, ist plötzlich so kalt 
wie Eis und heiß wie Feuer geworden. Machen wir, daß wir zum 
Schiff zurückkommen! Ich habe es erlebt, daß ich einmal drei 
Meilen von den: Schiff von einem solchen Wind überfallen wurde, der 
mich so durchkältete, daß ich glaubte, dem Ende nahe zu sein." 
Nicht selten sinkt die Temperatur auf — 450 und mehr. Bei 
dieser Kälte erfüllen unzählige feine Eiskristalle die Luft, denn alle 
Feuchtigkeit gefriert. Sie verwandeln die Klarheit des Tages in 
graugelbe Dämmerung und verursachen ein leises, flüsterndes Ge¬ 
räusch; als feiner Schneestaub schweben sie langsam und leise zu 
Boden und bedecken Menschen und Gegenstände wie mit feinein 
Puder. Diese Frostdämpfe erhalten immer neue Zufuhr ans offenen 
Stellen im Eis, aus denen der Wafferdampf in Wolken aufsteigt 
ähnlich dem Dampf, der an kalten Herbstmorgen über dem Wasser¬ 
spiegel unserer Flüsse lagert, wenn die Luft kalt, das Wasser aber 
noch verhältnismäßig warm ist. 
Da alle Feuchtigkeit gefriert, so herrscht eine unbeschreibliche 
Trockenheit in der Atmosphäre, und die Qualen des Durstes sind 
hier nicht minder schrecklich als in der Glut der Wüste. Manche 
suchen sich durch den Genuß von Schnee zu helfen, aber zu ihrem 
Schaden. Polarschnee erzeugt im Munde das Gefühl, als habe 
man glühendes Metall zu sich genommen. Er erhöht den Durst 
statt ihn zu mildern. 
Mond und Sonne glühen, oft von Höfen und Ringen umgeben, 
blutigrot, durch den Eisdunst. Bei solcher Kälte bedeckt keine Wolke 
den Himmel, und niemals fällt Schnee. Wo der Boden sich aus
	        
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