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gänzlich dieser dämpfende und verschönende Schleier, den die Luft
líber das Antlitz der Natur wirft. Auf der Erde sind wir daran
gewöhnt, daß der blendende Glanz der Sonne von der ßuft ge¬
mildert wird; auf dem Monde findet eine solche Abschwächung des
Sonnenlichtes nicht statt. Die Sonne strahlt in ihrem ganzen
überwältigenden Glanze, als ob sie uns ganz nahe stände. Dieser
Glanz der Sonne wird noch dadurch erhöht, daß der umgebende
Himmel völlig schwarz ist. Da keine Atmosphäre sich ans dem
Monde finbet, so hat man hier auch nicht das blaue Himmelsge-
wölbe der Erde; auf dem Monde ist der Himmel selbst am hellsten
Tage ein ungeheurer, bodenloser, schwarzer Raum ohne Form unb
Begrenzung, ein schwarzer Abgrund. Und was ebenso sonderbar ist:
an diesem schwarzen Himmel strahlen die Sterne, sogar die kleinsten,
selbst im hellsten Lichte der Mittagssonne in ihrem vollen Glanze.
Rund um uns herum sehen wir einen jähen Gegensatz zwischen der
blendendsten Helle und der schwärzesten Finsternis. Der schwarze
Himmel vermehrt noch die Schürfe des Gegensatzes; denn die hell¬
erleuchteten Berge, die in großer Entfernung um uns herum-
liegen, zeichnen sich auf dem schwarzen Hintergründe ab, der die
völlige Dunkelheit des Firmaments bildet. Diese Verhältnisse machen
auf unser irdisches Auge einen geradezu furchtbaren Eindruck. Das
scharfe, brennende Licht und die kohlschwarzen Schatten, die Ab¬
wesenheit vori allem, was eine Erdlandschaft verschönert, der schwarze
Himmel mit der strahlenden Sonne und der völlige Mangel an
jeder Spur von Leben, — dies alles macht die Landschaft furchtbar
wüst und leer. Die Berge ragen als nackte Felsen empor, von kei¬
nem Walde bebekleidet, von keinem Schneeteppich bedeckt; kein Glet¬
scher ruht in den Klüften, keine Lawine stürzt die Abhänge hinab.
Auf den Ebenen suchen wir vergebens das Gewimmel der grünen
Wälder oder die blauen Wasserspiegel der Seen; keine Wiese breitet
ihren Teppich aus, kein Bach schlängelt sich durch die Gegend.
Nackt und öde breiten sich die großen Flüchen aus — alles ist
nackter Stein wie der Gipfel des Berges, auf dem wir stehen.
Völlige Ruhe herrscht überall, eine Ruhe, so tief und still wie
die Ruhe des Grabes. Kein Windhauch streicht je längs der nackten
Seiten.der Felsengipfel; kein Sturm braust je über die Gegend hin.
Am schwarzen Himmel schwebt nie eine Wolke; kein Tau feuchtet den
Boden, kein Regen und kein Schnee fällt vom Himmel herab. Dem
Monde fehlt, was wir Wetter nennen. Die Sonnenstrahlen brennen
deshalb auf die Felsen und erhitzen sie während des 350 Stunden
langen Tages in einem außerordentlichen Grade. Rütteln wir au
den ungeheuren Felsblöcken, die um uns herumliegen, so sehen wir,