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gerät zuwendet und ein paar winzige Füllungen des Morgenpfeifchens
mit sichtlichem Behagen durch Mund und Nase verpafft, ehe sie schnell
aufspringt und in die Tagesordnung eintritt. Daß sie selbst früher, ehe
das leidige Asthma sie zu plagen begann, sich ebenfalls diesem von den
Japanerinnen so hochgeschätzten Rauchgenusse bei nüchternem Magen hin¬
zugeben Pflegte, hat die Großmutter beinahe ganz vergessen; jedenfalls gilt
ihr dieses sich jeden Morgen wiederholende Bild einer jungen Frau, die
in der Zeit, wo sich die meiste Arbeit zusammendrängt, zwei bis drei
Minuten mit Rauchblasen vergeudet, als einer der vielen Beweise dafür,
daß die Menschen immer schlechter werden.
Das Lösen des grünen Moskitonetzes, das fast das ganze Zimmer
füllt und die ganze Familie in seinem Schutz barg, das Zusammenlegen
der Steppdecken und der Kopfkissen aus Holz und Samt und das Fort¬
packen von beiden in den Wandschränken hinter den Schiebetüren mit
goldbetupften Tapeten geschieht in schleunigem Tempo, da zwei Mägde,
die Hausfrau, das älteste Fräulein und die Großmutter wetteifernd Hand
anlegen. Die männlichen Familienmitglieder, die gewaschen und gekämmt
mit ihren Zahnbürstenkästen aus dem Badezimmer zurückkehren, das allen
Hausbewohnern als Waschgelegenheit dient, finden schon die Matten frei,
die kleinen Tischchen hingestellt, auf denen das Frühstück serviert werden
soll, und die kleinen Sitzkissen an Ort und Stelle, auf denen sie Platz
nehmen werden, wenn alles bereit ist. Für die Kinder und Mägde ist
in einem Nebenraum der meist sehr großen und hohen Küche der Apparat
von Tischchen, Tabletts, Eßstüben und Kohlenbecken zurechtgestellt, die in
Japan zu der Hauptmahlzeit des Frühstücks gehören. Wenn die Magd
den großen Kübel mit Reis hereinbringt, aus dem sie jedem, der ihr seine
Schale reicht, ein paar Kellen der klebrigen weißen Körner auffüllt, beginnt
das Schlürfen, Schlucken, Kauen und Stäbchenklappern in einem beneidens¬
wert schnellen Tempo. Es geht in willkürlicher Abwechslung immer hin
und her zwischen der heißen salzigen Misosuppe, den Bohnenpräparaten
und Omelettes, den Fischen und Muscheln, dem Seetang und dem Reis,
bis die sauber geleerte Reisschale zum letztenmal der Magd auf das ent¬
gegengehaltene Tablett gestellt und statt das Reises Tee verlangt wird.
Denn mit einem heißen grünen Aufguß das reichlich genossene Frühstück
herunterznspülen, ist in Japan eine ebenso feststehende Sitte wie das
„Gesegnete Mahlzeit wünschen" nach einem deutschen Diner.
Die Hausfrau hat aber auch höhere Pflichten nicht vergessen. Vor¬
dem Familienschrein, auf dem die Glücksgötter thronen, und über dem
eine seltsam gezeichnete Darstellung des feuerumrahmten Fudosama als
Hüngebild an der Wand prangt, hat sie die Messingbecher frisch mit
Reis gefüllt, eine Räucherstange angezündet und händeklatschend die
Götter gerufen, damit sie sehen, wie sie hier hockt, sich tief verbeugt
und emporblickend ihr Gebet hinaufschickt zu den Himmelshöhen. Ein