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5. 3cf] tret' in die Burgkapelle
und suche des Ahnherrn Grab,
dort ist's, dort hängt vom Pfeiler
das alte Gewaffen herab.
7. So stehst du, o Schloß meiner Väter,
mir treu und fest in dem Sinn,
und bist von der Lrde verschwunden,
der Pflug geht über dich hin.
6. Noch lesen umflort die Augen
die Züge der Inschrift nicht,
wie hell durch die bunten Scheiben
das Licht darüber auch bricht.
8. Sei fruchtbar, o teurer Boden,
ich segne dich mild und gerührt
und segne ihn zwiefach, wer immer
den Pflug nun über dich führt.
9. Ich aber will auf mich raffen,
mein Saitenspiel in der Hand,
die weiten der Erde durchschweifen
und singen von Land zu Land.
Adclbert v. Chainisso.
6. Eine glückliche Familie.
1. Mein Freund Leberechl Hühnchen sollte in der Gartenstraße wohnen,
allein über die Hausnummer war ich nicht im klaren. Schon wollte ich in
ein Haus gehen, das ich für das richtige hielt, und mich erkundigen, als
ich auf zwei nette, reinliche Binder von etwa fünf und sechs Jahren auf¬
merksam wurde, die sich vor der benachbarten Haustür auf eine für sie
scheinbar köstliche Art vergnügten. Es war ein trüber Sommerlag gewesen,
und nun gegen Abend fing es an ganz sanft zu regnen. Da hatte der
Knabe als der ältere den herrlichen Spaß entdeckt, das Gesicht gegen den
Himmel zu richten und es sich in den offenen Mund regnen zu lassen. Mit
Begeisterung hatte das Mädchen dies sofort nachgeahmt, und nun standen
sie beide dort, von Zeit zu Zeit mit ihren fröhlichen Kinderstimmen in hellen
Zubel ausbrechend über dieses ungekannte und kostenlose Vergnügen. Mich
durchzuckte es wie ein Blitz: „Das sind Hühnchens Kinder!" Dies war
ganz in seinem Geiste gehandelt.
Ich fragte den Zungen: „Wie heißt dein Vater?"
„Unser Vater heißt Hühnchen," war die Antwort.
„Wo wohnt er?"
„Er wohnt in diesem Hause drei Treppen hoch." — „Ich möchte
ihn besuchen," sagte ich, indem ich dem Knaben den reinlichen Blondkopf
streichelte.
„Za, er ist zu Hause," war die Antwort, und nun liefen beide
Kinder eilfertig mir voran und klasperten mit ihren kleinen Beinchen hastig
die Treppen hinauf, um meine Ankunft zu vermelden. Zch folgte langsam,
und als ich oben ankam, fand ich die Tür bereits geöffnet und Hühnchen
meiner wartend. Es war dunkel auf dem Flur, und er erkannte mich nicht.
„Bitte treten Sie ein," sagte er, indem er eine zweite Tür aufstieß,
„mit wem habe ich die Ehre?"