Full text: [[Teil 2], Oberstufe, Teil 2] ([Teil 2], Oberstufe, Teil 2)

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V. Aus bem Naturleben. 
sein Blick. Es flimmert ihm vor den Augen, der Duft betäubt ihn, er kann nicht los, 
er muss — und galt' es sein Leben, — er muss hinzu, ln einem wilden Satze springt 
er darauf los, — da krach! schlägt das Eisen die zerschmetternden Zähne zusammen. 
So war der Schlaue doch nicht schlau genug! Er heult vor Wut; aber es ist 
nicht Zeit zu ohnmächtiger Klage, denn Gefahr droht im Verzüge; es gilt eine kühne That. 
Das Eisen zerschlug ihm den Lauf; 
sich zu retten, giebt er ihn auf, 
amputiert sich selbst, wie grimmig es schmerze: 
er hat ein entschlossenes, tüchtiges Herze. 
Einmal gefangen, denkt er, und nimmer wieder! Und er jagt davon, leicht und 
frei, „als hätte er eben nur den Stiefel ausgezogen.“ 
Das ist Reineke, der Held! 
Neben dem Mute und der Stärke des Löwen mag sein Scharfsinn und seine List 
stehen. Gewiss, der Fuchs ist bewundernswürdig; aber grösser noch, bewunderns¬ 
würdiger muss er uns erscheinen, wenn wir uns erinnern, dass man ihn vor des Eisens 
verführerischen Brocken verhungert gefunden hat, verhungert im Anblick der üppigsten 
Speise. Hermann Masius. 
* * 
* 
199. Das eherne Ross. 
I. 
s schnaubt das eh’rne Ross und dampft 
aus seinen Nüstern Nebelstreifen; 
es zuckt am Strange wild und stampft, 
begierig, wacker auszugreifen. 
Jetzt sprengt es an und stürmet fort — 
und plötzlich wird zum Hier das Dort. 
2. Fortgaloppiert mit stolzem Sinn 
der Mensch mit selbstgeschaffnem Rosse 
und jaget mühelos dahin 
mit schlangengleichem Wagentrosse; 
vorbei fliegt’s an dem trägen Kahn, 
der kaum sich regt auf seiner Bahn. 
3. Der Äcker lange Furchen drehn 
sich wie der Faden an der Spindel; 
die Wolken scheinen still zu stehn, 
als fasste Grauen sie und Schwindel; 
das Ross, am Pfluge angezäumt, 
sich vor dem Dampfross scheut und bäumt. 
4. Es grauset auch dem Menschen schier; 
kaum kann der Meister selber zügeln 
das übermüt’ge Zaubertier, 
das trotz’ger Zorn scheint zu beflügeln. 
Doch feuersprühend auf den Schienen 
muss es dem Erdenkönig dienen. 
II. 
1. Hast du des Meeres Strudelschwall gesehn, 
wo schwindelnd sich die ew’gen Wirbel drehn, 
wo, eh’ die neue Kräus’lung ist geboren, 
sie schon im Taumelwirbel ging verloren? 
2. So dünkt mir heut’ die wirre Flucht der Welt; 
drum bann’ ich meinen Blick ins Wanderzelt, 
wo Greise, Kinder, Männer, Mädchen, Frauen 
in bunter Stufenleiter sind zu schauen. 
3. Behaglich lässt im wohlgefüllten Wagen 
die Menschenschar der Ferne zu sich tragen 
Leis’ plaudern die vom wagenden Geschäft, 
wie sie das Glück gehätschelt und geäfft.
	        
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