„Jetzt muß ich Zuerst deu LokalZug abfertigen/' brummt iu kochender
Aufregung der arme Vorstand. „Der Stundenpaß in Ordnung, ja?
Ab!" Der Zug führt gegen Wien ab.
Da ist auch schon der Flügeladjutant: „Seine Majestät wünscheil
sofort abzureisen!"
„Bedaure, unmöglich, der Hofzug wird Punkt 5 Uhr 20 abgehen."
Gegenseitige sehr kühle Verbeugung, und jeder geht seines Weges.
„Herr Vorstand!" — „Zum Teufel, was denn schon wieder?"
„Bruck meldet kolossalen Zudrang von Feuerwehrleuten, Zug muß
geteilt werden, der Triestiner 2er kommt dazwischen gelegt."
„O du heiliges Flügelrad, jetzt kollidiert mir alles auch noch mit
dem Hofzug. Ewig schade, daß wir bei dem Durcheinander das Doppel¬
geleise haben, einfach müßte das ja heute herrlich werden!"
Eben schlägt die Uhr 3/i5. Draußen steht eine große Volksmenge
und begafft die kaiserlichen Salonwagen, auf dem Bahnsteig „wurlt" es
schon wieder, der zweite Lokalzug soll abgehen! Plötzlich weicht alles zur
Seite, Seine Majestät kommt im Jagdkostüm heran in gerader Richtung
auf den Stationsvorstand, der, stramm salutierend, vor dem Kaiser stehen
bleibt. Etwas scharf klingt die kaiserliche Frage: „Kaun ich jetzt fahren?"
Und ebenso bestimmt lautet die dienstliche Antwort: „Nein, Majestät!"
Unwillig dreht sich der Monarch um und kehrt zu seinem Gefolge zurück.
„Lokalzug ab Richtung Wien, Güterzug ab Bruck!"
Die elektrische Glocke bimmelt, das Signal eines von Süden kommenden
Zuges ist da, der letzte Vergnügungszug ist ab Wien über Gloggnitz zur
Höhe heraufgekeucht und bringt die Ausflügler, welche den Sonntagabend
und die Nacht ans dem Semmering verbringen wollen. Alles grüßt
ehrfurchtsvoll und doch mit sichtlicher Herzlichkeit den Kaiser, der gleich
anderen Sterblichen auf den Abgang des Zliges warten muß.
Wohl dankt Majestät freundlich, aber über seinem Antlitz liegt ein
Schatten des Mißmutes, eines sichtbaren Ärgers.
„Herr Vorstand, der Wechselwärter am Spitaler Ansfahrtswechsel ist
unwohl geworden." — „Soll seine Frau Dienst machen; Mayer, kontrollieren
Sie den Wechsel, ich habe keine Aushilfe und augenblicklich keine Zeit."
Die Stationsuhr schlägt die fünfte Stunde. Jetzt scheint die Geduld
des Kaisers erschöpft; begleitet von dem ganzen Gefolge, geht Majestät
nun auf den fortwährend Befehl gebenden Vorstand zu und fragt mit
schrill klingender Stimme, welche die kaiserliche Ungnade wetterleuchtet:
„Wo ist mein Zug? Lassen Sie sofort abfahren!"
„Majestäthalten zu Gnaden, der Hofzug bleibt hier bis Punkt 5 Uhr20."
„Das ist stark!" murmelt der Kaiser und wendet sich zu seinen
Begleitern: „Meine Herren, Wir sind hier anscheinend willenlos geworden
und müssen warten, bis es jenem Herrn gefällig ist, Uns weiterzubefördern."
Endlich rückt der Zeiger vor, 5 Uhr 15 schlägt die Uhr.