IV. Beruf und öffentliches Leben. 
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einander die Hand und sprachen zum Hansjörg: „Lebt wohl, Vater!" Peter ging 
gegen Morgen, Gabriel gegen Abend, Veit gegen Mitternacht. 
Und Hansjörg erfuhr nie wieder etwas von feinen Söhnen; sie blieben 
verschwunden, und es gereute ihn, sie alle fortgeschickt zu haben; denn er war alt 
und schwach. Aber er rührte das Geld seiner Kinder nie an bei dem Kaufmann, 
sondern ließ das Kapital sich durch die daraufgeschlagenen Zinsen mehren. Er 
ging wieder heischen von Haus zu Haus, und man gab dem armen, lahmen 
Hansjörg wohl gerne, so lange er fordern konnte. Aber endlich konnte er nicht 
mehr fordern; denn er war krank und war schon zweiundsechzig Jahre alt. Die 
Leute, die ihn kannten, schickten ihm wohl von Zeit zu Zeit einige Lebensmittel. 
Doch die Gemeinde, in welcher er seit vierundzwanzig Jahren gewohnt hatte, 
verstieß ihn unbarmherzig, weil er ein Fremder war. „Er soll uns nicht zur Last 
fallen," sagten die Bauern; „in vierzehn Tagen muß er zum Dorfe hinaus!" — 
„Ich weiß nirgends hin," antwortete Hansjörg; „doch zur Last will ich keinem 
fallen. Jetzt ist die Not am höchsten." 
Darauf schrieb er an den Kaufmann in der Stadt einen Zettel, und in 
dem Brief schrieb er: „Sendet mir dreihundert Gulden von meinem Kapital; denn 
ich bin alt und schwach, und von meinen Kindern habe ich schon seit vierzehn 
Jahren nichts vernommen; sie leben nicht mehr, ich folge ihnen bald in die Ewig- 
keit." — „Ihr seid reich genug!" antwortete der Kaufmann; „denn Euer Geld 
hat sich über zweitausend Gulden nach und nach vermehrt. Hiermit sende ich 
dreihundert Gulden." 
Als das Geld ankam, rissen alle Bauern im Dorfe die Augen auf und 
taten wieder freundlich zu Hansjörg, und jeder sagte: „Der lahme Kerl kann 
hexen!" Doch Hansjörg war bei seinen dreihundert Gulden nicht froh; ersehnte 
sich zu sterben, um bald wieder zu seinen drei Söhnen zu kommen, die er für 
gewiß tot hielt und längst im Himmel vermutete. Er war oft sehr niederge¬ 
schlagen. „Ich werde allein sterben," sprach er, „und an meinem Todesbette wird 
kein mitleidiges Auge weinen, und meine brechenden Augen wird nicht die weiche 
Hand eines geliebten Sohnes zudrücken. Hätt' ich nur wenigstens den kleinen Veit 
behalten." Doch Hansjörg starb nicht, ward vielmehr wieder gesund und pflegte 
sich im Alter gar wohl und tat sich alle Woche einmal am Sonntag bei einem 
Schoppen Wein gütlich. 
An einem schönen Sonntagabend saß er mit andern Bauern vor dem 
Wirtshause unter der alten, blühenden Linde. Hui! kommt wie ein Wetter ins 
Dorf gesprengt ein Bedienter zu Pferde, in roten Scharlach gekleidet, mit silbernen 
Tressen daran. Er hielt vor dem Wirtshause still und fragte mit lauter Stimme: 
„Wohnt hier im Dorfe der Herr Hans Georg Schmid?" Die Bauern ver¬ 
wunderten sich und sprachen: „Ja freilich, er trinkt sei Schöppli unter der alten 
Linde." Da drehte der Bediente das Roß um und ritt schnell wieder zurück in 
vollem Galopp, und die Bauern gingen alle zum Hansjörg und erzählten, was 
sie gehört und gesehen, und rieten hin und her, was es bedeuten könne. 
Siehe, da kamen zwei prächtige Kutschen ins Dorf und hielten vor der 
Wohnung des Hansjörg still. Dann stiegen drei junge Herren und zwei schöne 
Frauenzimmer in reichen Kleidern heraus, und alle fielen mit offene» Armen an 
den Hals des alten Hansjörg, der nicht wußte, wie ihm geschah. „Vater kennt
	        
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