VIII. Silder ans -er Naturkunde.
371. Frühlingsausflug in den Buchenwald.
Ser Kuckuck ruft, die Birke bat ihr duftendes Laub ent-
faltet; aus den Straßen der Stadt ziehen wir hinaus ins
Freie, hinaus in den frischen grünen Wald, um in würziger
Waldluft den zurückgekehrten Vögeln zu lauschen.
Es ist so feierlich still hier im Halbdunkel unter den hohen,
alten Bäumen. Die Sonnenstrahlen glitzern durch das junge, wie
Seide schimmernde Laub und malen wunderliche Schattenfiguren
über den Weg. Dicke Moospolster decken den Grund und über¬
ziehen den unteren Teil der Stämme. Lange Flechtenbärte hangen
von den Zweigen herab und wedeln langsam im Luftzuge. Gellend
schallt plötzlich das helle Gelächter des Spechtes aus dem Dickicht.
Er hütet dort, der Sage nach, die verzauberten Schätze und
kennt die Springwurz, welche alle Schlösser und Türme öffnet.
Welch ein riesiges Kunstwerk, welch eine Fülle von Leben
ist ein einziger Eichbaum, eine einzige altehrwürdige Buche! Schon
um sie in frühester Jugend als winziges Keimpflänzchen zu bilden,
vereinigten sich zahllose Zellen und Gefäße zu Stämmchen, Wurzeln
und Blättern. Die verschiedenen Organe teilten sich in die ge¬
waltige Arbeit; diese schafften Wasser und aufgelöste Erdteilchen
aus dem Grunde herbei, jene atmeten Luft, tranken Licht und ver¬
arbeiteten die empfangenen Stoffe zu neuen Gebilden. Millionen
neuer Zellen bildet der Baum jedes Jahr. Die eine Gruppe der¬
selben legt sich als schützende Rinde nach außen, die andere als
junges, Nahrung führendes Holz nach innen. Die älteren Jahres¬
ringe verholzen und geben, scheinbar abgestorben, dem Stamme
die nötige Kraft und Stärke, oben die gewaltige Krone zu tragen
und dem Sturm zu trotzen. Jedes Jahr sprießt oben ein Heer
neuer Zweige mit Blättern und Blüten hervor. Jede Knospe und
jeder Zweig, der sich aus ihr entwickelt, ist bis auf einen gewissen
Grad anzusehen als eine selbständige Pflanze. Jeder ist aber auch
wiederum ein Ergebnis früherer Jahresarbeiten und weicht etwas
ab von seinen Vorgängern. Eine vierzig- oder fünfzigjährige Buche
oder Eiche wird nicht blühen. Sechzig bis achtzig Jahre müssen
vergehen, ehe der Baum zum erstenmal blüht und Samen her¬
vorbringt.
Hast du einmal versucht zu zählen, wie viel kleine Gäste
ein einziger alter Buchenstamm nährt? Oben, wo die ersten Haupt-