Full text: (Achtes und neuntes Schuljahr) (Teil 4 für Kl. 2 u. 1)

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ihm das liebe Bild wieder in aller Schönheit und Herrlichkeit vor 
Augen stehon. 
Er ging an seine Leute heran, gab jedem die Hand und bedankte 
sich für öen letzten Dienst, den er ihm geleistet. Dann sagte er ihnen 
Adieu, gab dem Vogt das Geld für Sarg, Begräbnis und Grabkreuz 
und schlug in tiefen Gedanken seinen Weg in die dunkel vor ihm liegende 
Zukunft ein. 
Als er an das letzte Häuschen in dem kleinen Dorfe kam, stand die 
junge Tagelöhnerfrau mit einem Kinde auf dem Arm vor der Tür. Er 
trat an sie heran: „Stine, du hest min arme Fru so tru plegt in, ehr 
letzte Krankheit, — hir, Stine," und wollte ihr ein paar Taler in die 
Hand drücken. — — „Herr, Herr!" rief das junge Weib, „dauhn 
Sei uns dat nich tau Leben! *) Wat hewwen Sei nich in gauden 
Dagen an uns bahn, worüm fall Unserem nich in stimmen dat mal 
wedder vergellen? — Ach, Herr, ick heww 'ne Bed?) an Sei. Laten 
S' mi dat Kind hir! Ick will't hegen un plegen, as wir't min eigen. 
Un is't nich so as min eigen? Ick heww't jo an de Bost 3) hatt, 
as de Fru dünn so swack was. Laten S' mi dat Kind hier!" — 
Hawermann stand in tiefen Bedenken. — „Herr," sagte die Frau 
wieder, „so veel ick dorvon verstah, möten Sei sick doch tauletzt von 
dat lütte Worm scheiden, un — seihn S', hier kümmt Jochen, hei ward Sei 
dat sülwige seggen." — Der Tagelöhner kam heran, und als er 
hörte, um was es sich handelte, sagte er: „Ja, Herr, sei sall hollen 
warben as 'ne Prinzeß, und wi sünd gesund un gaud in de Wehr^) un 
wat Sei an uns bahn hewwen, dat sall ehr riklich tau Gauden kamen." 
— „Ne," sagte Hawermann, und riß sich aus seinen Gedanken, „dat 
geiht nich! Ick kann't nicht! 'T mag unrecht sin, dat ick dat Kind up't 
Ungewisse mit mi nehm; äwer ick heww so veel hier laten, dat letzte 
kann ick nich missen. — Ne, ne! — Ick kann't nich!" rief er hastig 
und wandte sich zum Gehen, „min Kind möt bliwen, wo ick bün. 
Adjüs, Stine! — Adjüs, Rassow!" —„Wenn Sei uns dat Kind nich 
laten willen, Herr," sagte der Tagelöhner, „denn will ick taum wenigsten 
mitgahn, un will Sei dat Kind drägen." — „Ne, ne," wehrte Hawer¬ 
mann ihn ab, „dat is kein Last för mi," aber das konnte er nicht 
wehren, daß die junge Frau sein Töchterchen liebkoste und küßte und 
immer wieder küßte, und daß die beiden treuen Menschen ihm lange 
nachschauten, als er seiner Wege ging. Sie, mit Tränen in den Augen, 
x) zu Leide. 2) Bitte. 3) Brust. 4) in guten Verhältnissen.
	        
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