Full text: [Teil 3 = 6. u. 7. Schulj] (Teil 3 = 6. u. 7. Schulj)

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Augen blickten unversehrt, und sie gehören mit zu den Sternen, die über 
meiner Kindheit standen, und mitunter, in dunkeln Stunden, glaube ich 
sie noch jetzt zu sehen, obgleich auch sie erloschen sind. 
n. 
1. Während nun Lena oen Milchverkauf besorgte, hatte „Vader" den 
Kühen ihr letztes Futter vorgeworfen, „Moder" in ihrem Troge den Teig 
zusammengeballt und sorgsam zugedeckt; ich selbst war schon vorher in die 
Wohnstube gewiesen, in jenen engen, aber traulichen Raum, in welchen: ich 
die schönsten Geschichten meines Lebens gehört habe. Fast immer, so wenig¬ 
stens scheint es mir jetzt, blühten hier auf den Fensterbrettern die roten 
Winterlevkojen; meine Blicke aber gingen nach dem eisernen Ofen, der an 
der Wand gegenüber zwischen den beiden verhangenen Alkovenbetten stand; 
er strömte, was nicht jeder Ofen von sich sagen kann, einen leckeren Duft 
aus, welcher, mit dem der Levkojen vermischt, noch jetzt in meiner Erinne¬ 
rung diesen Raun: erfüllt, und war überdies allezeit von einer sanften 
Hausmusik umgeben. Das erstere hatte seinen Grund in einer Schüssel, 
je nachdem mit Waffeln, Pfeffernüssen oder Bratäpfeln gefüllt, die auf 
der Ofenplatte warm gehalten wurden, und durch die dem Backhause nahe 
Küche klang der Gesang der Heimchen gesellig in das Zimmer hinein. 
Ich muß hier bekennen, daß mein alter Freund Johann Wies, ich 
weiß nicht, weshalb, ein unerbittlicher Verfolger dieser musikalischen Tier¬ 
chen war. Oft, wenn er mit seinem ehrwürdigen Gesicht unter der blauen 
Zipfelmütze, mit den friedlich gefalteten Händen in seinen: Lehnstuhl saß, 
habe ich ihn darauf ansehen müssen, wärmn der sonst so gute, alte Mann 
diesen Tierchen so eifrig nachstellte. 
Aber jetzt dachte Johann Wies an keine Heimchenjagd; unter dem 
Schutze der Dunkelheit sangen sie sicher in ihrem warmen Backhause, und 
während ich ihnen und der alten Wanduhr zuhörte, die bescheiden dazu den 
Takt schlug, war auch schon Lena hereingetreten, von der Arbeit gesäubert, 
in frischer, weißer Mütze mit schmalgefältelten: Strich, und fetzte Teegeschirr 
und Abendbrot auf den mit Wachstuch überzogenen Tisch. Bald kamen 
auch die beiden Alten und nahmen je zu einer Seite des Ofens ihren Platz. 
Mutier Wies, die vom Lande war, trug ihr graues Haar unter ein Käppchen 
zurückgestrichen, wie man es früher bei unseren Bäuerinnen sah; ihre fleißigen 
Hände waren mit Gichtknoten besetzt und zitterten, wenn sie die Tasse an 
den Mund führte; gleichwohl, sobald wir unsere Mahlzeit beendigt hatten, 
holte sie ihr Spinnrad aus der Ecke, und dem Tagewerk folgte nun noch 
das Werk des Abends. Dann wurde der duftende Teller aus seinem Ver¬ 
steck hervorgezogen, und Johann Wies lehnte sich behaglich in seinem Lehn¬ 
stuhl zurück. Und dann — ja, dann erzählte Lena Wies, und wie erzählte
	        
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