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63. Eine vernichtete Hoffnung.
1. ^örn Uhl hatte es gewagt und hatte dreißig Hektar vom besten
Land mit Weizen besät. Er wollte einen tüchtigen Zug tun. Wenn
es glückte, konnte er nach der Ernte zum erstenmal von der großen
Hypothek abtragen; bisher hatte er sich mit den Wechselschulden der
Brüder geplagt. Der Weizen kam gut durch den Winter. Der
Weizen schoß regelmäßig und dicht auf. Die Hoffnung war sehr groß.
Die Hoffnung war sehr nahe. Da fiel sie ins Wasser. Das Jahr
wurde das berüchtigte schlechte Weizenjahr. Es war noch die Zeit,
da ein Drittel der ganzen Landschaft mit Weizen besät war und der
Weizen den Ausschlag gab, da ein Jahr den Landmann fest in den
Sattel sehte und ein Jahr den Schwachen herauswarf.
2. So Ende Juli ging Jörn Uhl eines Abends in die Marsch
hinunter und begegnete dem alten Dreier. Der blieb stehen, stützte
sich schwer auf seinen Stock und atmete laut. „Du, Jörn," sagte er,
„hast du schon gesehen, daß die Mäuse im Weizen sind?" — „Nein,"
sagte der, „ich war vorgestern da und habe keine einzige gesehen." —
„Vorgestern waren es wenige; gestern waren es viele; heute sind es
eine schwere Menge. Mir ist bange um den Weizen, Jörn. Alle
fünfzig Jahre sind sie da. Vor hundert Jahren, hat mir mein Vater
erzählt, haben sie drei Jahre lang den Weizen und die Weiden ver¬
dorben; da hat ein guter dithmarscher Bauernhof nicht mehr gekostet
als eine Pfeife Tabak und einen Weidenstock."
Jörn Uhl ließ den Alten stehen und kam an dem Hafer vorüber
und sah noch nichts, ging weiter, stellte sich ans Hecktor17 und sah
in seinen Weizen. Rechts von ihm, so daß er den Wasserspiegel sehen
konnte, floß die ziemlich breite ArZ8. Als er noch so stand und über das
weite, wogende Feld sah, war ihm, als wenn nicht weit von ihm ein
Weizenhalm plötzlich verschwand, und wieder. .. nun da... nun da.
Als wenn eine Hand leise aus der Erde langt und ihn herunterzieht.
Er wischte sich mit der Hand über die Augen; er meinte, es wäre
Augenverblendung. Aber da sah er es, wie eine Maus sich auf die
Hinterbeine hob; ein Biß, noch einer — der Halm fiel herunter und
lehnte sich schräg an seinen Nebenmann. Es war eine feine, zierliche
Arbeit. Er sah übers Feld und sah wohl mehr, als zu sehen war:
als wenn das ganze Feld lebte. „So!" denkt er, „das ist das Ende."
Er steht noch so in Gedanken; da hört er es im dunkeln Wasser rieseln
und leise plätschern, und wie er hinuntersieht, schwimmen, ziehen
und wandern sie da quer durchs Wasser, tausend und abertausend.
Da kehrt er sich kurz um und geht nach Hause.