Full text: [Teil 3 = 6. u. 7. Schulj] (Teil 3 = 6. u. 7. Schulj)

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Dafür bat Hofenborn dem Lämmchen abgezwackt 
ein Flöckchen wolle nur, es warb bavon nicht nackt. 
Das Flöckchen hielt ber Dorn in scharfen Fingern fest; 
ba kam bie Nachtigall unb wollte bau'n ihr Nest. 
Sie sprach: „Tu auf bie Lfanb unb gib bas Flöckchen mir, 
unb ist mein Nest gebaut, sing' ich zum Danke bir." 
Tr gab, sie nahn: unb baut'; unb als sie nun gesungen, 
ba ist am Hosenborn vor Lust bie Hos' entsprungen. 
Friedrich Rückert. 
126. Das Kornfeld. 
1. ÄZer zwischen Kornfeldern aufgewachsen ist, der vergißt ihr 
Rauschen und Wiegen und Wogen sein lebelang nicht. Sie sind 
gleichsain trockene Meere, in deren Fluten der Hase und das Rebhuhn 
untertauchen und über dem statt schreiender Möwen singende Lerchen 
schweben. Hat das Kornfeld nun die Einförmigkeit und den gleich¬ 
mäßigen Wogenschlag des Meeres, so birgt es gleich diesem auch Reich¬ 
tum und Schönheit in sich. Lauter Brot ist es, das in ihm Wellen 
schlägt, und bei näherer Betrachtung wird das fortwährende Einerlei 
schlanker Ähren durch manche anmutige Abwechslung unterbrochen. 
Die Kornblume, der Rittersporn, die rote Rade und der Feldmohn 
schimmern leuchtend aus dem einförmigen Ahrenwerk hervor. Und 
welch niedliche Wendeltreppen baut nicht die Ackerwinde mit den 
weißen, rosa angehauchten Blüten, wenn sie sich zierlich an einem 
Halme bis zur Ähre emporringelt! Unten auf dem Boden treibt sich 
ein zahlreiches Geschlecht winziger Pflänzchen umher, die man erst 
recht zu Gesicht bekommt, wenn das Korn abgemäht ist. Da sind 
winzige Stiefmütterchen mit feinen, blaßgelben Gesichtern, Acker¬ 
vergißmeinnicht, so klein und zierlich, daß sie als Erinnerungszeichen 
gar nicht mehr zu brauchen sind, außerdem allerlei Kriechwerk mit 
weißen, blauen und leuchtend roten Sternchen. Diese bunte Herr¬ 
lichkeit, die den Städter entzückt, ist dem Landbewohner lästiges Un¬ 
kraut, das er gern mit Stumpf und Stiel vertilgen möchte. Sein 
größter Stolz ist ein ganz reines Feld, auf dem nichts weiter wächst 
als die körnerreichen Ähren, und zwar möglichst dicht. 
2. Welch ein geschäftiges kleines Volk treibt sich zwischen den 
Halmen herum! Ist nicht das Schwirren der Grillen und das Wehen 
der Heuspringer untrennbar von einem Kornfelde? Obgleich die 
Natur dem Heuspringer eine große Beweglichkeit verliehen hat, ist
	        
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