Full text: [Teil 3 = 6. u. 7. Schulj] (Teil 3 = 6. u. 7. Schulj)

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Es waren nämlich eine Unmenge Mäuse in der Mühle. Sie ängstigte 
sich freilich manchmal des Nachts vor dem klappernden Geräusch, wenn 
der Sturm die Mühlenflügel schüttelte oder durch die Äste der Linde 
vorm Hause jagte, so daß die Zweige an das Fenster klopften; aber dann 
betete sie ihr Vaterunser und schlief bald ruhig ein. 
3. Eines Tages, als sie in die Küche kam, um Milch für den Kleinen 
abzukochen, lag eine kleine Maus in dem großen Milchtopf und arbeitete 
mit aller Macht, an den glatten Seiten des Topfes in die Höhe zu kom¬ 
men. „Ha! Du trinkst also meines kleinen Jungen Milch, du Dieb!“ 
sagte sie und fischte den kleinen Sünder mit dem Löffel heraus. 
„Schlage sie tot“, sagte das Küchenmädchen Karen. Aber als 
Anneliese die Maus auf den Küchentisch legte, um sie zu besehen, 
schlüpfte diese schnell wie der Blitz in ein Loch hinter dem Ausguß. 
„Na, die ist wieder zu den andern; sie müssen alle totgeschlagen werden“, 
sagte Karen. Aber Anneliese meinte, die Mutter der Maus werde sich 
wohl recht freuen, daß sie lebendig nach Hause gekommen sei, und sie 
schickte selber schnell einen Gedanken zu Mütterchen nach Hause. 
4. Ein Weilchen später kam der Müller in die Küche und gab ihr 
ihren Lohn. Es waren zu ihrer Überraschung zehn Mark. „Weil du 
so schön auf meinen Jungen aufgepaßt hast“, sagte der Müller. 
Da Karen nicht in der Küche war, legte er einen Fünfmarkschein 
für sie aufs Fensterbrett und bedeckte ihn mit einem Stück Holz, damit 
er nicht fortkäme. Dann ging er, sein Mittagschläfchen zu halten. Aber 
mit einem Male wurde er von Karens durchdringender Stimme aus 
seinen Träumen gerissen. Sie war in die Küche gekommen, und zu ihrem 
Schreck war der Fünfmarkschein fort. Niemand außer Anneliese war 
in der Küche gewesen, das wußte sie; denn sie hatte lange vorm Küchen¬ 
fenster gestanden und Zeug gespült. Also mußte Anneliese den Schein 
genommen haben, wie eifrig sie das auch verneinte. Es machte Karen 
das größte Vergnügen, Anneliese zu beschuldigen; denn sie war sehr 
neidisch auf das neue Mädchen, zu dem alle so gut waren. 
Der Müller konnte so etwas von Anneliese nicht glauben. Er ver¬ 
langte, die Küche sollte aufs genauste durchsucht werden. Kein Stück 
blieb an seinem Platze, aber der Schein fand sich nicht. 
Das wurde nun eine traurige Zeit für die arme Anneliese. Was 
half es, daß die Müllersleute von ihrer Unschuld überzeugt waren. Alle 
andern mißtrauten ihr, nachdem die Geschichte in dem ganzen Städt¬ 
chen verbreitet war, was Karen gründlich besorgt hatte. Die Sonne 
schien so freundlich zu ihr hernieder, aber sie konnte ihr auch nicht
	        
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