Full text: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

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tränen. Bald darauf mutzten sie zu ihm ziehen und atzen allezeit mit 
an seinem Tisch, auch wenn er vornehme Gäste hatte. 
Einst spottete ein Offizier darüber, datz Bauern bei einem Ritt¬ 
meister zu Tische säßen. „Wie sollte ich nicht die ersten Wohltäter 
meines Lebens dankbar achten?" war seine Antwort; „ehe ich meines 
Königs Rittmeister wurde, war ich ihr Kind." — Der General von 
Zielen hörte von diesem Vorfall und bat sich selbst nach einiger Zeit 
mit mehreren vornehmen Offizieren bei dem Rittmeister zu Gaste. 
Dessen Eltern wünschten diesmal selbst nicht am Tische zu erscheinen, 
weil sie sich verlegen fühlen würden. Als man sich setzen wollte, fragte 
der General: „Aber Kurzhagen, wo sind Ihre Eltern? Ich denke, sie 
essen mit Ihnen an einem Tische?" Der Rittmeister lächelte und wußte 
nicht sogleich zu antworten. Da stand Zieten auf und holte selber die 
Eltern herbei; sie mutzten sich rechts und links an seine Seite setzen, 
und er unterhielt sich mit ihnen aufs freundlichste. Als man anfing, 
Gesundheiten auszubringen, nahm er sein Glas, stand auf und sprach: 
„Meine Herren, es gilt dem Wohlergehen dieser braven Eltern eines 
verdienstvollen Sohnes, der beweist, datz ein dankbarer Sohn mehr wert 
ist als ein hochmütiger Rittmeister." 
Später fand der General Gelegenheit, dem Könige von der kind¬ 
lichen Achtung zu erzählen, die der Rittmeister seinen Eltern erwiesen 
hatte, und Friedrich freute sich sehr darüber. Als Kurzhagen einst 
nach Berlin kam, wurde er zur königlichen Tafel gezogen. „Hör' Er, 
Rittmeister," fragte der König, um seine Gesinnung zu erforschen, „von 
welchem Hause stammt Er denn eigentlich? Wer sind Seine Eltern?" 
— „Ew. Majestät," antwortete Kurzhagen ohne Verlegenheit, „ich 
stamme aus einer Bauernhütte, und meine Eltern sind Bauersleute, 
mit denen ich das Glück teile, das ich Ew. Majestät verdanke." — 
„So ist's recht," sagte der König erfreut, „wer seine Eltern achtet, der 
ist ein ehrenwerter Mann; wer sie geringschätzt, verdient nicht, geboren 
zu sein." 
43. Oer alte Großvater und der Enkel. 
Von den Brüdern Grimm. 
Kinder- u. Hausmärchen. Originalausgabe. 32. Ausl., besorgt von Reinhold Steig. 
Stuttgart u. Berlin 1906. 8. 259. 
Cs war einmal ein steinalter Mann, dem waren die Augen trüb ge¬ 
worden, die Ohren taub, und die Knie zitterten ihm. Wenn er nun 
bei Tische saß und den Löffel kaum halten konnte, schüttete er Suppe 
auf das Tischtuch, und es floß ihm auch etwas wieder aus dem Munde.
	        
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