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60. Der Kuckuck und der Star.
Der Kuckuck sprach mit einem Star, der aus der Stadt entflohen
war. „Was spricht man,“ fing er an zu schreien, „was spricht man in
der Stadt von unsern Melodeien? was spricht man von der Nachtigall?“ —
„Die ganze Stadt lobt ihre Lieder.“ — „Und von der Lerche?“ rief er
wieder. — „Die halbe Stadt lobt ihrer Stimme Schall.“ — „Und von
der Amsel?“ fuhr er fort. — „Auch diese lobt man hier und dort.“ —
„Ich muß dich doch noch etwas fragen: was,“ rief er, „spricht man denn
von mir?“ — „VDas,“ sprach der Star, „das weiß ich nicht zu sagen;
denn keine Seele spricht von dir.“ „So will ich“, fuhr er fort, „mich an
dem Undank rächen und ewig von mir selber sprechen.“ belun
61. Der Zeisig und die Nachtigall.
Ein Zeisig war's und eine Nachtigall,
die einst zu gleicher Zeit vor Damons Fenster hingen.
Die Nachtigall fing an, ihr göttlich Lied zu singen,
und Damons kleinem Sohn gefiel der süße Schall.
„Ach, welcher singt von beiden doch so schön?
Den Vogel möcht' ich wirklich sehn!“
Der Vater macht ihm diese Freude,
er nimmt die Võgel gleich herein.
„Hier,“ spricht er, „sind sie alle beide;
doch welcher wird der schöne Sänger sein?
Getraust du dir, mir das zu sagen?“
Der Sohn läßt sich nicht zweimal fragen;
schnell weist er auf den Zeisig hin.
„Der,“ spricht er, „muß es sein, so wahr ich ehrlich bin.
Wie schön und gelb ist sein Gefieder;
drum singt er auch so schöne Liederl
Dem andern sieht man's gleich an seinen Federn an,
daß er nichts Kluges singen kann.“ Gellert.
62. Der Wolf und das Lämmlein.
Ein Wolf und ein Lämmlein kamen von ungefähr beide an denselben
Bach, um zu trinken; der Wolf trank oben am Bach, das Lämmlein aber
fern unten. Da der Wolf des Lämmleins gewahr ward, lief er zu ihm
und sprach: „Warum trübest du mir das Wasser, daß ich nicht trinken
bann?“ Das Lämmlein antwortete: „Wie kann ich dir das Wasser trüben,
trinkst du doch über mir, und möchtest du es mir wohl trüben?“ Der Wolf