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Schiller: Der Kampf mit dem Drachen.
Die hetz' ich auf den Lindwurm an, V
Erhitze sie zu wilden: Grimme, X
Zu fassen ihn mit scharfem Zahn, X
And lenke sie mit meiner Stimn:e.
12. „Und wo des Bauches weiches Vließ
Den scharfen Bissen Blöße ließ,
Da reiz' ich sie, den Wurm zu packen,
Die spitzen Zähne einzuhacken.
Ich selbst, bewaffnet mit Geschoß,
Besteige mein arabisch' Roß,
Bon adeliger Zucht entstammet;
Und als ich seinen Zorn entflammet,
Rasch auf den Drachen spreng' ich's los
Und stacht' es mit den scharfen Sporen
Und werfe zielend mein Geschoß,
Als wollt' ich die Gestalt durchbohren.
13. „Ob auch das Roß sich grauend
bäumt
Und knirscht und in den Zügel schäumt,
Und meine Doggen ängstlich stöhnen,
Nicht rast' ich, bis sie sich gewöhnen.
So üb' ich's aus mit Emsigkeit,
Bis dreimal sich der Mond erneut,
Und als sie jedes recht begriffen,
Führ' ich sie her auf schnellen Schiffen.
Der dritte Morgen ist es nun,
Daß mir's gelungen, hier zu lauden;
Den Gliedern gönnt' ich kaum zu ruh'n,
Bis ich das große Werk bestanden.
14. „Denn heiß erregte mir das Herz
Des Landes frisch erneuter Schmerz;
Zerrissen fand man jüngst die Hirten,
Die nach dem Sumpfe sich verirrten.
Und ich beschließe rasch die That,
Nur von dem Herzen nehm' ich Rat.
Flugs unterricht' ich meine Knappen,
Besteige den versuchten Rappen,
Und von dem edel'n Doggenpaar
Begleitet, auf geheimen Wegen,
Wo meiner That kein Zeuge war,
Reit' ich dem Feinde frisch entgegen.
15. „Das Kirchlein kennst du, Herr, das
hoch
Auf eines Felsenberges Joch,
Der weit die Insel überschauet,
Des Meisters kühner Geist erbauet.
Verächtlich scheint es, arm und klein,
Doch ein Mirakel schließt es ein,
Die Mutter mit dem Jesusknaben,
Den die drei Könige begaben.
Auf dreimal dreißig Stufen steigt
Der Pilgrim nach der steilen Höhe;
Doch hat er schwindelnd sie erreicht,
. Erquickt ihn seines Heilands Nähe.
M6. „Tief in den Fels, auf dem es hängt,
/Ist eine Grotte eingesprengt,
Vom Tau des nahen Moors befeuchtet,
Wohin des Himmels Strahl nicht
leuchtet.
Hier hausete der Wurm und lag,
Den Raub erspähend, Nacht und Tag.
So hielt er wie der Höllendrache
Am Fuß des Gotteshauses Wache;
Und kam der Pilgrin: hergewallt
Und lenkte in die Unglücksstraße,
Hervor brach aus dem Hinterhalt
Der Feind und trug ihn fort zum
Fraße. ,_4
17. „Den Felsen stieg ich jetzt hinan,
Eh' ich den schweren Strauß begann;
Hin kniet' ich vdr dem Christuskinde
lind reinigte mein Herz von Sünde.
Drauf gürt' ich mir im Heiligtum
Den blanken Schmuck der Waffen um,
Bewehre mit dem Spieß die Rechte,
Und nieder steig' ich zum Gefechte.
Zurücke bleibt der Knappen Troß;
Ich gebe scheidend die Befehle
Und schwinge mich behend aufs Roß,
Und Gott empfehl' ich meine Seele.
18. „Kaum seh' ich mich im eb'nen Plan,
Flugs schlagen meine Doggen an,
Und bang' beginnt das Roß zu keuchen
Und bäumet sich und will nicht weichen;
Denn nahe liegt, zum Knäu'l geballt,
Des Feindes scheußliche Gestalt
Und sonnet sich auf warmem Grunde.
Auf jagen ihn die flinken Hunde;
Doch wenden sie sich pfeilgeschwind,
Als es den Rachen gähnend teilet
Und von sich haucht den gift'gen Wind
Und winselnd wie der Schakal heulet.
19. „Doch schnell erfrisch' ich ihren Mut;
Sie fassen ihren Feind mit Wut,
Indem ich nach des Tieres Lende
Alls starker Faust den Speer versende;
Doch machtlos wie ein dünner Stab
Prallt er vom Schuppenpanzer ab,
Und eh' ich meinen Wurf erneuet,
Da bäumet sich mein Roß und scheuet