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in.
Als die Normannen auf ihrer Flucht die heimischen Burgen vor
Augen hatten, trat König Ludwig zu Gudrun und ermahnte sie, sich in
ihr Schicksal zu finden. Er zeigte ihr das Land, über welches sie
herrschen sollte, wenn sie seinen Sohn Hartnult zum Manne nähme.
Sie aber blieb standhaft und erklärte, sie wolle lieber sterben, ehe sie
das täte. Da brauste der König in wildem Zorne aus, ergriff sie bei
den Haaren und warf sie über Bord. Gudrun hätte nun ihren Tod
in den Wellen gefunden, wenn nicht Hartmut ihr nachgesprungen wäre
und sie gerettet hätte. Ludwig bereute auch die Tat und schickte Boten
an Gerlinde, seine Gemahlin, mit der Bitte, die fremden Frauen bei
der Landung wohl zu empfangen. Da erschien denn auch Gerlinde mit
ihrer Tochter, der guten Ortrun, welche Gudrun wie eine Schwester
empfing und herzlich küßte. Auch Gerlinde wollte Gudrun mit so trau¬
lichem Gruße empfangen; aber diese wandte sich unwillig von der Argen
weg. Die Königin verbiß ihren Zorn; denn sie hoffte, Gudrun werde
doch noch den Wünschen ihres Sohnes gefügig werden. Sie täuschte
sich jedoch darin; allen Bitten zum Trotz weigerte sich die Jungfrau,
den zum Manne zu nehmen, durch den sie ihren Vater und ihre Heimat
verloren hatte. Da wurde Hartmut sehr bekümmert; die böse Gerlinde
aber sprach: „Willst du nicht Freude haben, so sollst du Leid erfahren.
Du sollst fernerhin mein Zimmer heizen und die Brände mit eigner
Hand schüren." Gudrun antwortete: „Meiner Mutter Tochter hat zwar
selten die Brände geschürt, doch verstehe ich es wohl zu tun, was Ihr
mir gebietet." Auch die harte Arbeit beugte den Sinn Gudrnns nicht,
und selbst als Gerlinde ihr drohte, sie sollte mit ihren Haaren den Staub
wischen, blieb sie bei ihrer Weigerung. Auch Hartmuts und Ortruns
gütliches Zureden halfen nicht; denn Gudrun wollte lieber alle Drangsale
erdulden, als ihrem Verlobten die Treue brechen. So trug sie alles
bis in das neunte Jahr. Als Gerlinde sah, daß alle Härte ohne Erfolg
blieb, beschloß sie, dieselbe noch tiefer zu demütigen. Sie befahl ihr,
täglich Wäsche an den Strand zu tragen und dort mit eigener Hand zu
waschen. Auch durch diese Schmach ließ sich Gudrun nicht erweichen.
Sie verrichtete ihre Arbeit, so daß ihr kein Vorwurf gemacht werden
konnte. Ihr einziger Trost war, daß die treue Hildburg, ihre Jugend-
gespielin, sich erboten hatte, ihr dabei zu helfen. So konnten die beiden
heimatlosen Frauen doch wenigstens trauliche Zwiesprache pflegen und sich
dadurch die lange Zeit verkürzen.
IV.
Es war an einem Mittwoch in der Fastenzeit, als Gudrun und
Hildburg wieder am Strande wuschen. Da kam ein Vogel herbei¬
geschwommen. Der aber konnte sprechen und sagte: „Ich bin ein Bote,
dir von Gott gesandt; du kannst mich fragen, ich will dir Nachricht