Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4)

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und wollten schon verzagen, als sich plötzlich, kaum daß die 
Sonne ihren ersten Funkenbiitz über den Horizont geworfen hatte, 
ein seltsam melodisches Klingen in der Luft erhob und ein gewär¬ 
tiger Duft den ganzen Garten erfüllte. Zugleich tat sich unter dem 
großen Apfelbaum das Erdreich ein wenig auf, und ein leuchtend 
grüner Keim schoß hervor, der alsbald seine Blätter entrollte und 
aus deren Mitte einen Blütenstengel mit drei goldenen Knospen 
emportrieb. Das Klingen in der Luft schwoll an, und der Duft 
verstärkte sich, als sich diese Knospen voneinander taten und drei 
Blumen entfalteten, die genau dem Krönlein des Schlangenkönigs 
glichen und gleich diesem in der Mitte wie blaue Sterne leuchteten. 
Aber kaum hatte sich diese zur höchsten Pracht aufgetan, als sie 
auch schon die Köpfe hängen ließen, so daß bald nur noch der 
verwelkte Pflanzenstengel dastand. 
An dieser Stelle grub nun die Frau und stieß bald auf einen 
großen Topf, der mit goldenen Münzen und kostbaren Edelgesteinen 
bis zum Rande angefüllt war, so daß sie auf einmal viele Reich¬ 
tümer besaß. Noch am selbigen Tage brachte Grete dem Schlangen¬ 
könig seine Krone zurück. Ihre Mutter, die den reichen Fund 
niemand mitteilte, verkaufte bald darauf ihr kleines Anwesen an 
einen benachbarten Bauern, der zur Abrundung seines Gutes schon 
lange danach getrachtet hatte, und zog mit Grete in eine entfernte 
Stadt, wo sie in einem schönen Gartenhäuschen in behaglicher 
Wohlhabenheit wohnte und ihre Tochter in allen guten Dingen 
unterrichten ließ, so daß aus der kleinen Gänsehirtin ein kluges 
und schönes Mädchen ward, das später ein vornehmer junger Mann 
zu seiner Gattin erwählte. 
So ward sie die Stammutter eines blühenden und wohlhabenden 
Geschlechts, dessen Nachkommen noch heute bestehen und in 
ihrem Wappen eine silberne, gekrönte Schlange und zwei goldene 
Gänse führen. 
133. Veit und Rübezahl* Von Tob. Karl HuguTt flöuiaas. 
Volksmärchen der Deutschen. Bearbeitet von Dr. M. W. Gotthard Müller. 
Stuttgart o. J. S. 58. 
1. 
einem Bauer in der Amtspflege Reichenberg in Böhmen hatte ein 
böser Nachbar sein Hab und Gut abgerechtet, und nachdem sich die 
Justiz seiner letzten Kuh bemächtigt hatte, blieb ihm nichts übrig als ein 
abgehärmtes Weib und ein halb Dutzend Kinder. Zwar gehörten ihm 
noch ein Paar rüstige, gesunde Arme; aber sie waren nicht hinreichend, 
ihn und die Seinigen zu ernähren. Es schnitt ihm durchs Herz, wenn
	        
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