176
148* Hus der ^ranzolenzelt. von e™a frommei.
Aus der Chronik eines geistlichen Herrn. 5. Auflage. Stuttgart 1901. 8. 172.
1.
n einer Amtsstadt im badischen Mittelrheinkreis lebte
im Anfang vorigen Jahrhunderts ein Registrator mit
seiner Familie. Er war ein starker, großer Mann,
von dem man denken konnte, er könne besser den Säbel
als die Feder führen. Das lange, wallende Haar-
stand ihm gut an; nur wenn er heftig wurde, da war
es anzuschauen wie die Mähne eines gereizten Löwen.
Er war aber sonst ein stiller, ernster Mann, dessen Blick, so freundlich
er war, doch etwas Schwermütiges hatte; man sah es ihm an, den Mann
drückte etwas, und doch durfte er nicht sagen was. Wo ihn zunächst
der Schuh drückte, das konnte man merken, wenn man die Tür ausmachte,
die aus seiner Amtsstube führte. Da waren seine Frau und seine fünf
unerzogenen Kinder, wie die Orgelpfeifen aufeinander folgend, der älteste
ein Knabe von zwölf Jahren. Ja, das machte ihm Sorge, wenn er auf
sie und ihre Zukunft sah. Schon jetzt gab's schmale Bissen; denn die
Besoldung war klein, und die beiden letzten Vierteljahre waren gar nicht
ausbezahlt worden wegen der Kriegszeiten. Es war noch ein Glück für
ihn, daß zum Teil seine Besoldung in Holz, Frucht und Wein bestand;
denn sonst hätte er gar nicht gewußt, woher nehmen, um die vielen
Mäuler zu stopfen. Aber wie sollte das noch werden, wenn der Krieg
weiter fortging? Das hatte ihm schon manchmal den Kopf warm gemacht,
und es war doch noch nicht das Schlimmste. Denn wenn er seine
Schreiber entlassen hatte und seinen Schlafrock anzog, da war's ihm doch
eine Wonne, bei dem jungen Volke zu sein. Da spielte er mit den
Kindern oder nahm den Jüngsten auf seinen Schoß, ließ ihn reiten und
sang dazu deutsche Kriegslieder, daß die Mutter oftmals besorgt hereinkam
und zu ihm sagte: „Pst, Alter, nicht so laut! Die Speichellecker könnten's
hören!" Da wurde er jedesmal ernst, und die milden Augen fingen an
zu rollen, das lange Haar sträubte sich, und aus der Brust kam ein
tiefer Seufzer. Ja, da war der Fleck, wo ihn der Schuh drückte. In
dem Amtsstädtchen war mehr denn ein Franzosensreund, zum Teil auch
bestochene Leute, die am liebsten ganz französisch geworden wären. Sie
führten genaue Verzeichnisse über alle ihnen verdächtige Personen der
Umgegend und suchten sich einen roten Rock oder wenigstens ein rotes
Bändel ins Knopfloch zu verdienen durch ihre Angeberei. Und gerade
sein nächster Vorgesetzter, der Amtmann, war solch ein Mensch. Ihm
war der Registrator in der innersten Seele zuwider; denn der war eine
ehrliche, deutsche Seele, und der Schmerz und Gram um sein Vaterland
brachte ihn fast um. Oftmals hatte ihm der Amtmann gedroht, man