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und es hält schwer, daß wir diese bösen Zeiten vergleichen und entscheiden, 
welche die schlimmste war. Denn wer leidet, meint, ihm ginge es am 
schlimmsten, und er vergißt im eigenen Schmerz den Schmerz, den andere 
leiden und vor ihm gelitten. Ja, unser Gedächtnis ist dann so kurz, daß 
uns das ehedem Erduldete gering vorkommt gegen das Übel, unter dem wir 
im Augenblick seufzen. So vergaßen wir, als der Druck der Franzosen 
ans uns lastete, des Druckes, den die Großväter und Urgroßväter im sieben 
jährigen Kriege ertragen. Und so hatten die dazumal auch vergessen, um 
wie viel schlimmer der dreißigjährige war. 
Ja, dieser Krieg war gräßlich, und wir vermeinen noch bisweilen den 
Leichengernch und den Branddnnst zu riechen. Und noch furchtbarer und 
jammernswerter wird er, so wir uns inT Gedächtnis rufen, welche Saaten 
da zertreten, welche Frnchtgärten und Wälder zerstört wurden, und wie der 
Fleiß von zwei Jahrhunderten und länger, die Frucht der Hohenzollern- 
herrschaft, schien, als wür's die Arbeit von zwei Tagen gewesen, die man 
in einer Stunde vernichtet. Aber drei Jahrhunderte vor dem dreißig¬ 
jährigen Kriege sah es in den Landen zwischen Oder und Elbe kaum minder 
wüst und traurig aus. Da lagen die Leichen auch unbegraben an den 
Landstraßen, und der Aasgeruch lockte die Raben aus den Lüften, die 
Wölfe aus den Heiden. Nachts sahest du den Himmel gerötet von den 
Fenersbrünsten, und die Lüfte zitterten vom Wehgeschrei der Beraubten, der 
in Knechtschaft Fortgeschleppten. Und hin war mit dem Frieden die 
Sicherheit. Der Nachbar schloß sich vom Nachbar ab; die Gerechtigkeit 
war flüchtig, und die Zwietracht wucherte unter den Edlen und Gemeinen. 
Es hatte niemand das Regiment und niemand den Gehorsam; nur zwei 
herrschten allein in der Mark Brandenburg, das war die Furcht und die 
Gewalt. Dem armen Lande fehlte alles: ein Fürst und eine Herrschaft, 
Ordnung und Gesetz und, was schlimmer, auch der Gemeinsinn war er¬ 
storben, welcher die Völker aufrecht erhält, wenn die Zeiten über sie fort¬ 
stürmen und sie zu verschlingen drohen. Ihnen fehlte auch die Hoffnung; 
denn wer so im Strudel ist, hält sich auch an den Schatten eines Stroh¬ 
halms. Das waren die Zeiten der Bayernherrschaft über die Marken vom 
Jahre 1320 bis um die Mitte des Jahrhunderts. 
Und so hat es sich bewährt durch siebenhundert Jahre bis heute. Die 
Mark Brandenburg ist groß geworden, nicht durch Metallschätze, die unter 
der Sandscholle aufleuchteten, nicht durch hundertfältige Frucht goldner 
Ähren, nicht durch deu Haudel, der die Schätze der Weltteile an ihre Küsten 
verschlug und durch ihre Flüsse führte; sie ward groß durch die Ausdauer 
im Unglück, daß ihr Volk, geschlagen und getreten, ins Elend getrieben und
	        
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