Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4)

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kam, erschraken sie gewaltig: denn ein ungeheurer, riesengroßer 
Mann ging ganz gebückt in der Strecke herauf. Er hatte eine 
große Kappe auf dem Kopf und war auch sonst wie ein Mönch 
angetan, in der Hand aber trug er ein mächtiges Grubenlicht. Als 
er bis zu den beiden, die in Angst da stillstanden, geschritten war, 
richtete er sich auf und sprach: „Fürchtet euch nicht, ich will euch 
kein Leids antun, vielmehr Gutes,“ nahm ihr Geleucht und schüttete 
Öl von seiner Lampe darauf. Dann aber ergriff er ihr Qezäh 
(Werkzeug) und arbeitete ihnen in einer Stunde mehr, als sie selbst 
in der ganzen Woche bei allem Fleiß herausgearbeitet hätten. Nun 
sprach er: „Sagt’s keinem Menschen je, daß ihr mich gesehen 
habt!“ und schlug zuletzt mit der Faust links an die Seitenwand; 
sie tat sich auseinander, und die Bergleute erblickten eine lange 
Strecke, ganz von Gold und Silber schimmernd. Und weil der 
unerwartete Glanz ihre Augen blendete, so wendeten sie sich ab; 
als sie aber wieder hinschauten, war alles verschwunden. Hätten 
sie ihre Bilhacke (Hacke mit einem Beil) oder sonst irgend nur 
einen Teil ihres Gezähs hineingeworfen, wäre die Strecke offen 
geblieben und ihnen viel Reichtum und Ehre zugekommen; aber 
so war es vorbei, wie sie die Augen davon abgewendet. 
Doch blieb ihnen auf ihrem Geleucht das Öl des Berggeistes, 
das nicht abnahm und darum noch immer ein großer Vorteil war. 
Aber nach Jahren, als sie einmal am Sonnabend mit ihren guten 
Freunden im Wirtshaus zechten und sich lustig machten, erzählten 
sie die ganze Geschichte, und Montags morgen, als sie anfuhren, 
war kein Öl mehr auf der Lampe, und sie mußten nun jedesmal 
wieder, wie die andern, frisch aufschütten. 
156. Der Hirt auf dem Kyffhäuser, 
Von den Brudern Grimm. 
Deutsche Sagen. 4. Auflage, besorgt von Reinhold Steig. Berlin 1906. 8. 211. 
Ktliche sprechen, daß bei Frankenhausen in Thüringen ein Berg liege, 
darin Kaiser Friedrich seine Wohnung habe und vielmal gesehen 
worden. Ein Schafhirt, der auf dem Berge hütete und die Sage gehört 
hatte, fing an, auf seiner Sackpfeife zu pfeifen, und als er meinte, er 
habe ein gutes Hofrecht gemacht, rief er überlaut: „Kaiser Friedrich, 
das fei dir geschenkt!" Da soll sich der Kaiser hervorgetan, dem Schäfer 
offenbart und zu ihm gesprochen haben: „Gott grüß dich, Männlein, 
wem zu Ehren hast du gepfiffen?" „Dem Kaiser Friedrich," ant¬ 
wortete der Schäfer. Der Kaiser sprach weiter: „Hast du das getan, 
so komm mit mir, er soll dir darum lohnen." Der Hirt sagte: „Ich 
darf nicht von den Schafen gehen." Der Kaiser aber antwortete: 
„Folge mir nach, den Schafen soll kein Schaden geschehen." Der Hirt
	        
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