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„Du hast mich erlöst! Nimm zum Danke den Ring, der in dem 
anderen Ei gewesen ist! Es ist ein Wunschring. Wenn du ihn am 
Finger umdrehst und dabei einen Wunsch aussprichst, wird er alsbald 
in Erfüllung gehen. Aber es ist nur ein einziger Wunsch im Ringe. 
Darum überlege dir wohl, was du dir wünschest, auf daß es dich nicht 
nachher gereue." 
Darauf erhob sich der Adler hoch in die Luft, schwebte lange noch 
in großen Kreisen über dem Haupte des Bauers und schoß dann wie ein 
Pfeil nach Morgen. 
Der Bauer nahm den Ring, steckte ihn an den Finger und begab 
sich auf den Heimweg. Als es Abend war, langte er in einer Stadt an; 
da stand der Goldschmied im Laden und hatte viel köstliche Ringe feil. 
Da zeigte ihm der Bauer seinen Ring und fragte ihn, was er wohl wert 
wäre. „Einen Pappenstiel!" versetzte der Goldschmied. Da lachte der 
Bauer laut auf und erzählte ihm, daß es ein Wunschring sei und mehr 
wert als alle Ringe zusammen, die jener feilhielte. Doch der Gold¬ 
schmied war ein falscher, ränkevoller Mann. Er lud den Bauer ein, über 
Nacht bei ihm zu bleiben, und sagte: „Einen Mann wie dich mit solchem 
Kleinode zu beherbergen, bringt Glück; bleibe bei mir!" bewirtete ihn 
aufs schönste mit Wein und glatten Worten, und als er nachts schlief, 
zog er ihm unbemerkt den Ring vom Finger und steckte ihm statt 
dessen einen ganz gleichen, gewöhnlichen an. 
Am nächsten Morgen konnte es der Goldschmied kaum erwarten, daß 
der Bauer aufbräche. Er weckte ihn schon in der frühesten Morgenstunde 
und sprach: „Du hast noch einen weiten Weg vor dir, es ist besser, wenn 
du dich früh aufmachst." 
Sobald der Bauer fort war, ging er eiligst in seine Stube, schloß 
die Läden, damit niemand etwas sähe, riegelte dann auch noch die Tür 
hinter sich zu, stellte sich mitten in die Stube, drehte den Ring um und 
rief: „Ich will gleich hunderttausend Taler haben." 
Kaum hatte er dies ausgesprochen, so fing es an, Taler zu regnen, 
harte, blanke Taler, als wenn es mit Mulden gösse, und die Taler 
schlugen ihm auf Kopf, Schultern und Arme. Er fing an, kläglich zu 
schreien, und wollte zur Tür springen; doch ehe er sie erreichen und 
aufriegeln konnte, stürzte er, am ganzen Leibe blutend, zu Boden. Aber 
das Talerregnen nahm kein Ende, und bald brach von der Last die Diele 
zusammen, und der Goldschmied mitsamt dem Gelde stürzte in den 
tiefen Keller. Darauf regnete es immer weiter, bis die Hunderttausend 
voll waren, und zuletzt lag der Goldschmied tot im Keller und auf ihm 
das viele Geld. Von dem Lärm kamen die Nachbarn herbeigeeilt, und 
als sie den Goldschmied tot unter dem Gelde liegen fanden, sprachen sie: 
Kippenberg, 6 3. [S.] g
	        
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