Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

Schwab: Prometheus. 
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Krankheiten damit zu vertreiben. Dann lehrte er sie die Wahrsagerkunst, deutete 
ihnen Vorzeichen und Träume, Vogelflug und Opferschau. Ferner führte er 
ihren Blick unter die Erde und ließ sie hier das Erz, das Eisen, das Silber 
und das Gold entdecken; kurz, in alle Bequemlichkeiten und Künste des Lebens 
leitete er sie ein. 
Im Himmel herrschte mit seinen Kindern seit kurzer Zeit Jupiter, der 
seinen Vater Kronos entthront und das alte Göttergeschlecht, von welchem auch 
Prometheus abstammte, gestürzt hatte. 
Jetzt wurden die neuen Götter aufmerksam auf das eben entstandene 
Menschenvolk. Sie verlangten Verehrung von ihm für den Schutz, welchen 
sie demselben angedeihen zu lassen bereitwillig waren. Zu Melone in Griechen¬ 
land ward ein Tag gehalten zwischen Sterblichen und Unsterblichen, und Rechte 
und Pflichten der Menschen wurden bestimmt. Bei dieser Versammlung erschien 
Prometheus als Anwalt seiner Menschen, dafür zu sorgen, daß die Götter für 
die übernommenen Schutzämter den Sterblichen nicht allzulästige Gebühren auf¬ 
erlegen möchten. Da verführte den Titanensohn seine Klugheit, die Götter zu 
betrügen. Er schlachtete im Namen seiner Geschöpfe einen großen Stier; davon 
sollten die Himmlischen wählen, was sie für sich davon verlangten. Er hatte 
aber nach Zerstückelung des Opfertieres zwei Haufen gemacht; auf die eine 
Seite legte er das Fleisch, das Eingeweide und den Speck, in die Haut des 
Stiers zusammengefaßt, auf die andere die kahlen Knochen, künstlich in das 
Unschlitt des Schlachtopfers eingehüllt. Und dieser Hausen war der größere. 
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trogen, lächelte bei sich selbst und sprach: „Erlauchter Jupiter, größter der ewigen 
Götter, wähle den Teil, den dir dein Herz im Busen anrat zu wählen. 
Jllpiter ergrimmte im Herzen, aber geflissentlich faßte er mit beiden Hunden das 
weiße Unschlitt. Als er es nun aus einander gedrückt und die bloßen Knochen 
gewahrte, stellte er sich an, als entdeckte er jetzt eben erst den Betrug, und 
zornig sprach er: „Ich sehe wohl, Freund Japetonide, daß du die Kunst ves 
Truges noch nicht verlernt hast!" ^ . 
Jupiter beschloß sich an Prometheus für seinen Betrug zu rachen und 
versagte den Sterblichen die letzte Gabe, die sie zur vollendeteren tzwflttung 
bedurften, das Feuer. Doch auch dafür wußte der schlaue Sohn des ^apetus 
Rat. Er nahm den langen Stengel des markigen Riesenfenchels, näherte stch 
mit ihm dem vorüberfahrenden Sonnenwagen und setzte so den Stengel m 
glostenden Brand. Mit diesem Feuerzunder kam er hernieder auf die Erde, 
und bald loderte der erste Holzstoß gen Himmel. In innerster Seele schmerzte 
es den Donnerer, als er den fernhinleuchtenden Glanz des Feuers unter den 
Menschen emporsteigen sah. Sofort formte er zum Ersatz für des Feuers 
Gebrauch, das den Sterblichen nicht mehr zu nehmen war, em neues Übel 
für sie. Der seiner Kunst wegen berühmte Feuergott Vulkanus mußte chm das 
Scheinbild einer schönen Jungfrau fertigen; Minerva selbst, die, auf Prometheus 
eifersüchtig, ihm abhold geworden war, warf dem Bild ein weißes, schimmerndes 
Gewand über, ließ ihr einen Schleier über das Gesicht wallen, den daS 
Mädchen mit den Händen geteilt hielt, bekränzte ihr Haupt mit frischen Blumen 
und umschlang es mit einer goldenen Binde, die gleichfalls Vulkanus seinem 
Vater zu Liebe kunstreich verfertigt und mit bunten Tiergestalten herrlich ver¬ 
ziert hatte. Merkurius, der Götterbote, mußte dem holden Gebilde Sprache
	        
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