Full text: Das Mittelalter (Theil 2)

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Doch das Schicksal wollte nicht, daß diese Drohung in Erfüllung 
gehen sollte. Im Jahre 453 sah der römische Kaiser des Morgenlandes 
im Traume den Bogen Attila's zerbrochen; das war in derselben Nacht, 
in welcher der Hunnenkönig mit der schönen Hildegunde Hochzeit hielt; 
diese stieß ihm aus Blutrache den Dolch in's Herz — so erzählt die 
Sage. Groß war der Schrecken, allgemein die Trauer der Hunnen um 
den großen König. Unter freiem Himmel ward ein seidenes Gezelt auf¬ 
geschlagen, unter welchem auf einem herrlichen Prnnkbette der königliche 
Leichnam zur Schau ausgestellt wurde. Die Edelsten der Nation ritten 
Tag für Tag in feierlichem Gepränge um das Zelt. Sie schoren ihr 
Haar, zerfetzten ihren Leib und sangen Klagelieder. Dann legten sie den 
Leichnam in einen goldenen Sarg, setzten diesen in einen silbernen und 
diesen wieder in einen eisernen, vergruben ihn des Nachts und tödteten 
alle Gefangenen, welche dabei geholfen hatten. Denn Niemand sollte wissen, 
wo Attila's Asche und seine kostbare Kriegsbeute vergraben läge. 
Mit dem Tode dieses großen Eroberers löste sich sein mächtiges Reich 
wieder in seine Theile auf; denn seine Söhne hatten nicht den Verstand 
und den Heldenmuth des Vaters. Die vornehmsten der unter Attila ver¬ 
einigten Völker setzten sich wieder in Freiheit und machten Eroberungen 
für sich allein. 
2. Alarich (410 n. Chr.). 
1. 
Als der Kaiser Theodosius aus dem Todtenbette lag, theilte er sein 
großes Reich unter seine zwei jungen Söhne, Honorius und Arka- 
dius; jener sollte im Abendlande, dieser im Morgenlande herrschen und 
Konstantinopel zu seiner Residenz erwählen. Weil aber den unerfahrenen 
Prinzen ein erfahrener Mann noth that, so hatte der sterbende Theodosius 
seinem Sohne Honorius den Stilicho als obersten Minister gegeben, 
und seinem Sohne Arkadius den Rufinus. Solches geschah im Jahre 
395 n. Chr. 
Stilicho, ein Vandale von geringer Herkunft, hatte im römischen 
Kriegsdienste so außerordentliche Geistesgaben entwickelt, daß er sich bis 
zum Oberfeldherrn emporarbeitete. Er herrschte jetzt im Namen des elf¬ 
jährigen Honorius ganz unumschränkt über die Abendländer. Rufinus, 
der Minister des 18jährigen Arkadius, war ein geborner Gallier, der sich 
durch Verstellung und Heuchelei das Vertrauen des Kaisers Theodosius 
erschlichen hatte. Diese beiden Reichsverweser hatten keinen andern Wunsch, 
als anstatt des halben das ganze Reich nach Willkür zu beherrschen. Sie 
haßten einander von ganzer Seele und ergriffen begierig jede Gelegenheit, 
wo der eine dem andern schaden, wo möglich ihn stürzen konnte. Die 
Armeen, von deren Schutze die Sicherheit der beiden Reiche abhing, be¬ 
standen jetzt meistens aus Deutschen; die Obergenerale waren auch
	        
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