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Nun war des Studireus kein Ende, denn er wollte seiner neuen Würde
auch Ehre machen und suchte mit emsigem Fleiße das nachzuholen, was er
in seiner Jugend nicht hatte lernen können.
Ein Vorfall gab indeß seinem Geiste plötzlich eine ganz neue Rich¬
tung. Ein Dominikanermönch, Namens Johann Tetzel, reiste damals
in ganz Deutschland herum, Ablaßzettel zu verkaufen, und kam bis Jüter-
bogk, vier Meilen von Wittenberg. Die Kirche hat schon seit den ältesten
Zeiten das Recht geübt, den Christen für ihre Sünden eine Buße auf¬
zulegen, auch, wenn sie sich reuig und bußfertig zeigten, ihnen die Strafe
abzukürzen. Daraus entstand aber im Volke der Aberglaube, die Priester
könnten die Sünden vergeben und den Sünder von der ewigen Strafe,
von den Leiden im Fegefeuer lossprechen. Solches benutzten die Päpste
und schickten Ablaßverkäufer in's Land, die für Geld den Leuten Abla߬
zettel verkauften, die den Leuten sehr willkommen waren, da sie sich nun
wegen ihrer Sünden beruhigt fühlten. Wer z. B. die Erlaubniß haben
wollte, in der Fastenzeit Butter und Käse zu essen, der kaufte sich für
einen Groschen solch' einen Zettel.
Damals war Leo X. Papst, ein vergnügungssüchtiger, prachtliebender
Mann, der viel Geld brauchte. Besonders erforderte der Bau der Peters¬
kirche ungeheure Geldsummen, und um diese zu erhalten, wurde ein all¬
gemeiner Ablaß ausgeschrieben. Unter den Ablaßverkäufern, die in Deutsch¬
land umherzogen, war aber keiner unverschämter, als eben jener Tetzel, ein
nichtswürdiger Mensch, den das erbitterte Volk schon einmal hatte ertränken
wollen. Dieser setzte jetzt eine Menge von Ablaßzetteln ab. Wenn er nach
einer Stadt kam, so hielt er immer einen feierlichen Einzug, damit das
Volk recht zusammenlaufen sollte. Die päpstliche Bulle, worin der Ablaß
verkündigt war, wurde auf einem sammetnen Kissen vorangetragen; die
Priester und Mönche, der Magistrat und die Schulen zogen ihm mit Ker¬
zen und Fahnen entgegen und holten ihn ein; alle Glocken läuteten, man
begleitete ihn in die Kirche, wo er des Papstes Panier, mit einem rothen Kreuze
geziert, aufrichtete, und nun begann der Handel. Er hatte zwei Kasten
bei sich; in dem einen waren die Zettel, in dem andern das Geld, und er
pflegte wohl zu rufen: „Sobald das Geld im Kasten klingt, die Seele aus
dem Fegfeuer in den Himmel springt!" Es waren Ablaßbriefe für alle
Vergehen zu haben, für Diebstahl, Meineid, Gewaltthat, Mord. In
Jüterbogk ward aber Tetzel mit eigener Münze bezahlt. Ein Ritter meldete
sich, der einen Ablaß begehrte, weil er Jemand auf der Landstraße zu be¬
rauben vorhabe; — denn man konnte auch für Sünden, die erst in der
Zukunft begangen werden sollten, einen Ablaßzettel erhalten. ,,(£t", sagte
Tetzel, „solchen Zettel mußt du theuer bezahlen!" Der Preis wurde ihm
gern gezahlt, und der Ablaßkrämer fuhr mit seinem schweren Geldkasten
ab. Als Tetzel in einen Wald kommt, sprengt plötzlich ein Ritter mit
mehreren Knechten auf ihn ein, hält den Wagen an und nimmt den vollen
Geldkasten in Besitz. Tetzel verflucht den Räuber in den Abgrund der
Hölle, doch dieser zeigt ihm lächelnd den Ablaßzettel mit den Worten: