Full text: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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Die Raben ziehen krächzend zumal 
nach dem Hochgericht, zu halten ihr Mahl. 
„Wen flechten sie auf das Rad zur 
Stund' ? 
Was hat er gethan? wie ward es kund?" 
Die Sonne bracht' es an den 
Tag! 
36. Kolumbus. 
„Was willst du, Fernando, so trüb' 
und bleich? 
Du bringst mir traurige Mär!" 
„Ach, edler Feldherr, bereitet Euch! 
nicht länger bezähm' ich das Heer! 
Wenn jetzt nicht die Küste sich zeigen will, 
so seid Ihr ein Opfer der Wuth; 
sie fordern laut wie Stnrmgebrüll 
des Feldherrn heil'geS Blut." 
Und eh' noch dem Ritter das Wort 
entflohn, 
da drängte die Menge sich nach, 
da stürmten die Krieger, die wüthenden, 
schon 
gleich Wogen in's stille Gemach, 
Verzweiflung im wilden, verlöschenden 
Blick, 
auf bleichen Gesichtern der Tod! — 
„Verräther! wo ist nun dein gleißendes 
Glück? 
jetzt rett' uns vom Gipfel der Noth! 
Du giebst uns nicht Speise, so gieb uns 
dein Blut! 
Blut!" rief das entzügelte Heer. — 
Sanft stellte der Große den Felsenmuth 
entgegen dem stürmenden Meer. 
„Befriedigt mein Blut euch, so nehmt es 
und lebt! 
Doch bis noch ein einziges Mal 
die Sonne dem feurigen Osten entschwebt, 
vergönnt mir den segnenden Strahl. 
Beleuchtet der Morgen kein rettend 
Gestad, 
so biet' ich dem Tode mich gern; 
bis dahin verfolgt noch den muthigen 
Pfad 
und trauet der Hülse des Herrn!" 
Die Würde des Helden, sein ruhiger 
Blick 
besiegte noch einmal die Wuth. 
Sie wichen vom Haupte des Führers 
zurück 
und schonten sein beiliges Blut. 
„Wohlan denn, es sei noch! doch hebt 
sich der Strahl 
und zeigt uns kein rettendes Land, 
so siehst du die Sonne zum letzten Mal, 
so zittre der strafenden Hand!" 
Geschlossen war also der eiserne Bund; 
die Schrecklichen kehrten zurück. — 
Es thue der leuchtende Morgen nun kund 
des duldenden Helden Geschick! 
Die Sonne sank, der Tag entwich; 
des Helden Brust ward schwer. 
Der Kiel durchrauschte schauerlich 
das weite, wüste Meer. 
Die Sterne zogen still herauf, 
doch ach! kein Hoffnungsstern! 
Und von des Schiffes ödem Lauf 
blieb Land und Rettung fern. 
Vom Trost des süßen Schlafs ver¬ 
bannt, 
die Brust voll Gram, durchwacht, 
nach Westen blickend unverwandt, 
der Held die düstre Nacht. 
„Nach Westen, o nach Westen hin 
beflügle dich, mein Kiel! 
Dich grüßt noch sterbend Herz und Sinn, 
du meiner Sehnsucht Ziel! 
Doch mild, o Gott, von Himmelshöhn 
blick auf mein Volk herab! 
Laß sie nicht trostlos untergehn 
im wüsten Fiutengrab!" 
Es sprach's der Held, von Mitleid weich; 
da — horch I welch eiliger Tritt? 
„Noch einmal, Fernando, so trüb'und 
bleich? 
Was bringt dein bebender Schritt?" 
„Ach, edler Feldherr, es ist geschehn! 
Jetzt hebt sich der östliche Strahl!" 
„Sei ruhig, mein Lieber, von himm¬ 
lische^ Höhn 
entwand sich der leuchtende Strahl. 
Es waltet die Allmacht von Pol zu Pol, 
mir lenkt sie zum Tode die Bahn." 
„Leb' wohl denn, mein Feldherr, leb' 
ewig wohl! 
ich höre die Schrecklichen nahn!" 
Und eh' noch dem Ritter das Wort 
entflohn, 
da drängte die Menge sich nach; 
da stürmten die Krieger, die wüthenden, 
schon 
gleich Wogen in's stille Gemach.
	        
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