Full text: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

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138* Der Binger Mäusetunn^ Von den Brüdern Grimm. 
Auflage, besorgt von Reinhold Steig. Berlin 1906. S. 181. 
u Bingen ragt mitten aus dem Rhein ein hoher 
Turm, von dem nachstehende Sage umgeht. Im 
Jahre 974 war große Teuerung in Deutschland, 
daß die Menschen aus Not Katzen und Hunde 
aßen und doch viel Leute Hungers starben. Da 
war ein Bischof zu Mainz, der hieß Hatto der 
Andre. Er war ein Geizhals und dachte nur daran, seinen Schatz 
zu mehren, und er sah zu, wie die armen Leute auf der Gasse 
niederfielen und bei Haufen zu den Brotbänken liefen und das 
Brot nahmen mit Gewalt. Aber kein Erbarmen kam in den Bischof, 
sondern er sprach: „Lasset alle Armen und Dürftigen sammeln 
in einer Scheune vor der Stadt, ich will sie speisen.“ Und wie 
sie in die Scheune gegangen waren, schloß er die Tür zu, steckte 
die Scheune mit Feuer an und verbrannte sie samt den armen 
Leuten, jung und alt, Mann und Weib. AIs nun die Menschen 
unter den Flammen wimmerten und jammerten, rief Hatto: „Hört, 
hört, wie die Mäuse pfeifen!“ 
Allein Gott der Herr plagte ihn bald, daß die Mäuse Tag und 
Nacht über ihn liefen und an ihm fraßen und er sich mit aller 
seiner Gewalt nicht wider sie zu bewahren vermochte. Da wußte 
er endlich keinen andern Rat, als daß er einen Turm bei Bingen 
mitten in den Rhein bauen ließ, der noch heutigestags zu sehen 
ist. Daselbst meinte er sicher zu sein; aber die Mäuse schwammen 
durch den Strom heran, erklommen den Turm und fraßen den 
Bischof lebendig auf. 
139. Der Splelmarm. von stuihcim Schäfer. 
Rheinsagen. Berlin 1908. 8. 9. 
n Mainz ein Sptclmmm war so alt und wunderlich, daß keiner 
mehr nach seiner Geige tanzen mochte. Lo ging er auf die 
Straßen gleich einem Bettler und spielte seine wieder den Leuten vor, 
die da vorübergingen. Doch weil schon damals jeder seine eigene 
J)lage auf dem Rücken trug, so gab es wenig Dhren, die ihn geigen 
hörten, und noch weniger Batzen in den b)ut, so daß er immer mehr 
den bittern chunger leiden mußte. Da ging er eines Tages in die 
Airche, der Mutter Gottes seine schwere Not zu klagen. Und wie er 
Deutsche Sagen. 4.
	        
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