Full text: Illustriertes Realienbuch

26. Der große Kurfürst. 
an den fleißigen Holländern das Muster glücklicher Unterthanen. Er nahm 
sich vor, sein Land und Volk ebenso mächtig uno glücklich zu machen. Als 
man ihn im Haag zu Ausschweifungen verleiten wollte, floh er ms Feldlager 
zu Oranien und äußerte dabei: „Ich bin es meinen Eltern, meinem Lande 
und meiner Ehre schuldig." Oranien klopfte ihm auf die Schulter und sagte: 
„Eure Flucht ist heldenmütiger, als wenn ich diese Festung eroberte. Vetter, 
ihr habt das gethan, ihr werdet mehr thun, denn wer sich selbst besiegt, ist 
großer Thaten fähig." 
2. Sein Regierungsantritt erfolgte 
in seinem 20. Jahre unter den traurig¬ 
sten Umständen. Sein verwüstetes Land 
hielten die Schweden zum Teil beseht; 
die Truppen hatten dem Kaiser Treue 
geschworen, und die Regierungsgewalt 
hatte der Minister Schwarzenberg 
inne. Zunächst wollte der junge Kur¬ 
fürst Herr in seinem Lande werden. 
Mit festem Willen, scharfem Verstände 
und gläubigem Gottvertrauen ging er 
auf sein Ziel los. Zuerst beschränkte 
er die Macht des allmächtigen Schwar¬ 
zenb erg, den ein Schlagfluß kurze 
Zeit darauf aus der Welt rief. Dann 
nahm er die Truppen in Eid und 
Pflicht iiitb vermehrte die stehende 
Heeresmacht zuletzt bis auf 8000 Mann. Mit den Schweden schloß er Waffen¬ 
stillstand. Auf die Friedensverhandlungen übte er durch seine Klugheit und 
Festigkeit einen großen Einfluß aus. Er vermählte sich mit der schönen, 
gebildeten und edlen Luise Henriette von Oranien, der Tochter des 
niederländischen Statthalters. Vor ihrer Ankunft ließ er in Berlin die Spuren 
der Verwüstung beseitigen, das Schloß ausschmücken und die Lindenallee 
anlegen. 
3. Sein Bestreben ging darauf hinaus, die getrennten Landesteile in 
ein Ganzes zu vereinigen, sich vom Kaiser möglichst unabhängig zu machen 
und seine Unterthanen zu beglücken. Um die ganz erschöpften Kassen zu füllen, 
führte er eine Verbrauchssteuer ein, wodurch alle Lebensmittel unmerklich teurer 
wurden. In die verödeten Strecken zog er Holländer, Schweizer und ver¬ 
triebene Protestanten aus Frankreich. Um den Gartenbau zu heben, mußte 
jeder Bauer vor seiner Verheiratung 6 Obst- und 6 Eichenbäume pflanzen. 
Die Kartoffeln wurden eingebürgert, Straßen und Kanäle gebaut, eigene Posten 
eingeführt, Schulen und Bibliotheken geschaffen, Bauten aufgeführt, Fabriken 
aller Art angelegt und soyar der Anfang zu einer Flotte gemacht. 
4. Sein Gehilfe in militärischen Dingen war der alte Derfflinger. 
Derselbe soll in seiner Jugend Schneider gewesen sein. Als Geselle kam er 
auf der Wanderschaft nach Tangerinünde an der Elbe, um sich übersetzen zu 
lassen. Weil er aber kein Geld hatte, wies ihn der Fährmann zurück, ließ 
aber einen Trupp Kriegsleute frei passieren. Da warf Derfflinger fein leichtes 
Bündel in den Fluß und ließ sich als Dragoner anwerben. Durch Tapfer¬ 
keit und Einsicht stieg er bis zum Feldmarschall empor. Als bei Tafel einst 
der französische Gesandte fragte, ob es wahr sei, daß einer der kurfürstlichen 
Generale Schneider gewesen fei, da sprang Derfflinger heftig auf und rief:
	        
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