Full text: [Teil 3 = Kl. 6] (Teil 3 = Kl. 6)

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Aus Schillers Jugendtagen 
war der Kalvarienberg der katholischen Nachbarstadt Gmünd, und nicht 
selten weilte er in den dunkeln Hallen der uralten, schmucklosen, düstern 
Kirche Corchs bei den Gräbern der Hohenstaufen. „Diese religiösen und 
geschichtlichen Eindrücke, in des Kindes Gemüt aufgenommen, waren 
vielleicht die ersten Fäden des magischen Gewebes der tragischen Dar— 
stellung, die der Genius in seiner Seele anlegte.“ Der Vater erklärte ihm 
dazu die Geschichtsdenkmale der Gegend; der Sohn durfte ihn in die 
Übungslager, zu den Förstern im Walde und auf das schöne Custschloß 
hohenheim begleiten. Auf solche Weise nährten wechselnde Lebensbilder 
seine Phantasie und ein einfaches Hausleben kräftigte dabei sein Inneres. 
Denn „schlichte Sitte, Ehrgefühl und zarte Schonung der Frauen im 
Familienkreise waren die CLebenselemente, in denen der Knabe aufwuchs“. 
Selbst der rauhe Vater zeigte der Mutter und den Töchtern gegenüber jenes 
Zartgefühl, das die edle Berichterstatterin, von der wir diese Worte 
entlehnt haben, als eine ursprüngliche Stimmung der Organisation be— 
trachtet, als eine der Eigenschaften, der man am ersten Erblichkeit zu— 
schreiben kann. So war denn dieses Zartgefühl, verbunden mit Wahr— 
heitsliebe und Gewissenhaftigkeit, auch bei Schiller ein elterliches Erbteil. 
Aber jene feinere Behandlung des Knaben und das Beispiel zarter 
Familienliebe wirkte bei diesem weder leibliche noch geistige Verzärtelung. 
Sein kühner Geist wagte es schon frühe, über die Grenzen des Elternhauses 
hinauszuschweifen, und es regte sich beizeiten in ihm jener Weltbürger— 
sinn, der ihn als dramatischen Dichter so edel, frei und stolz machte. Die 
Tagebücher des neunjährigen Knaben ergingen sich in der Länderbeschrei— 
bung und Geschichte Persiens und den Taten Alexanders, und wenn er 
von Schiffern und Reisenden erzählen hörte, konnte er oft begeistert aus— 
rufen: „Vater, ich muß in die Welt! Auf einem Punkte der Welt bin 
ich; die Welt selbst kenn ich noch nicht.“ Und der Mutter, die ihn ermahnte 
im Vaterlande zu bleiben und sich redlich zu nähren, erwiderte er mit 
glühenden Wangen: „Vaterland, Vaterland! haben wir denn ein anderes 
als die ganze Welt? Wo es Menschen gibt, da ist das Vaterland. Und 
verlasse ich denn meine Eltern und Freunde, wenn ich zum Beispiel in 
Ispahan bin, mich dankbar ihrer erinnere und alles das, was ich mein 
Glück nenne, mit ihnen teile?“ In dieser Sehnsucht verschlang er die 
Reisen des Kolumbus, die Eroberungen des Cortez, die Weltumsegelung 
Dampierres. Sein Geist schien zu ahnen, zu welchen Wanderungen durch 
das Ideengebiet der Menschheit er selbst aufbewahrt sei. 
Auch in einigen Handlungen kühner Furchtlosigkeit bildete sich der 
kecke Unternehmungsgeist vor, der den Mann als Dichter und Denker 
beseelte.
	        
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