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Aus Schillers Jugendtagen
war der Kalvarienberg der katholischen Nachbarstadt Gmünd, und nicht
selten weilte er in den dunkeln Hallen der uralten, schmucklosen, düstern
Kirche Corchs bei den Gräbern der Hohenstaufen. „Diese religiösen und
geschichtlichen Eindrücke, in des Kindes Gemüt aufgenommen, waren
vielleicht die ersten Fäden des magischen Gewebes der tragischen Dar—
stellung, die der Genius in seiner Seele anlegte.“ Der Vater erklärte ihm
dazu die Geschichtsdenkmale der Gegend; der Sohn durfte ihn in die
Übungslager, zu den Förstern im Walde und auf das schöne Custschloß
hohenheim begleiten. Auf solche Weise nährten wechselnde Lebensbilder
seine Phantasie und ein einfaches Hausleben kräftigte dabei sein Inneres.
Denn „schlichte Sitte, Ehrgefühl und zarte Schonung der Frauen im
Familienkreise waren die CLebenselemente, in denen der Knabe aufwuchs“.
Selbst der rauhe Vater zeigte der Mutter und den Töchtern gegenüber jenes
Zartgefühl, das die edle Berichterstatterin, von der wir diese Worte
entlehnt haben, als eine ursprüngliche Stimmung der Organisation be—
trachtet, als eine der Eigenschaften, der man am ersten Erblichkeit zu—
schreiben kann. So war denn dieses Zartgefühl, verbunden mit Wahr—
heitsliebe und Gewissenhaftigkeit, auch bei Schiller ein elterliches Erbteil.
Aber jene feinere Behandlung des Knaben und das Beispiel zarter
Familienliebe wirkte bei diesem weder leibliche noch geistige Verzärtelung.
Sein kühner Geist wagte es schon frühe, über die Grenzen des Elternhauses
hinauszuschweifen, und es regte sich beizeiten in ihm jener Weltbürger—
sinn, der ihn als dramatischen Dichter so edel, frei und stolz machte. Die
Tagebücher des neunjährigen Knaben ergingen sich in der Länderbeschrei—
bung und Geschichte Persiens und den Taten Alexanders, und wenn er
von Schiffern und Reisenden erzählen hörte, konnte er oft begeistert aus—
rufen: „Vater, ich muß in die Welt! Auf einem Punkte der Welt bin
ich; die Welt selbst kenn ich noch nicht.“ Und der Mutter, die ihn ermahnte
im Vaterlande zu bleiben und sich redlich zu nähren, erwiderte er mit
glühenden Wangen: „Vaterland, Vaterland! haben wir denn ein anderes
als die ganze Welt? Wo es Menschen gibt, da ist das Vaterland. Und
verlasse ich denn meine Eltern und Freunde, wenn ich zum Beispiel in
Ispahan bin, mich dankbar ihrer erinnere und alles das, was ich mein
Glück nenne, mit ihnen teile?“ In dieser Sehnsucht verschlang er die
Reisen des Kolumbus, die Eroberungen des Cortez, die Weltumsegelung
Dampierres. Sein Geist schien zu ahnen, zu welchen Wanderungen durch
das Ideengebiet der Menschheit er selbst aufbewahrt sei.
Auch in einigen Handlungen kühner Furchtlosigkeit bildete sich der
kecke Unternehmungsgeist vor, der den Mann als Dichter und Denker
beseelte.