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Als Alexander der Große an die Grenzen dieses Reiches kam, werden
uns die Inder schon als ein hochgebildetes Bolk geschildert. Unverändert
blieb es durch Jahrhunderte, und vielleicht ist es in seinen Hauptzügen
noch heutzutage dasselbe. Die Veda, eine Sammlung der heiligen Re¬
ligionsschriften in mehr als 1000 Gesängen, ist das älteste Denkmal
seiner Litteratur; aus ihr bilden die vier Bücher „der göttlichen Worte
des mächtigen Geistes", von Brahma selbst aus der göttlichen Sprache
ins Sanskrit übersetzt, die Uroffenbarnng ihrer Religions- und Götterlehre.
Ein höchstes, unerschasfenes, unendliches Wesen ist der Urquell alles
Vorhandenen. Ans seiner Vereinigung mit dem weiblichen Urwesen ent¬
springen eine Unzahl neuer Götter. Von diesen fällt ein Teil ab, wird
aber besiegt und die übermütigen Geister in die Leiber der Menschen und
Tiere gebannt, um in diesem Dasein entweder ihre Schuld zu büßen und
gereinigt zu ihrem Schöpfer wieder zurückzukehren, oder, im Widersprüche
mit der höchsten Gewalt verharrend, ihr ewig fern zu bleiben. Diese
höchste, unersorschliche Gottheit hat keine Gemeinschaft mit dem Menschen.
Aber drei andere Wesen sind ans ihr entsprungen, Brahma, Wischnn und
Schiwa, die in ihrer Vereinigung (Trimurti) wieder die Summe aller
göttlichen Macht besitzen.
Nach der Veda wurde das Volk in drei reine Kasten eingeteilt: in
Brahmanen, die ans Brahmas Mund, in Krieger, die ans Brahmas
Armen und in Ackerbau-, Handel- und Gewerbetreibende, die aus Brahmas
Füßen hervorgegangen sind. Eine vierte Kaste bildeten die schwarzfarbigen
Ureinwohner; sie waren verachtet und ans der Volksgemeinschaft aus¬
geschlossen. Die Brahmanen galten als heilig und unverletzlich; sie waren
die Götter ans Erden, die Zweimalgeborenen, Reinen; die Religion wurde
von ihnen bewahrt und die heiligen Bücher erklärt. Sie verrichteten die
Gebete und Opfer und hatten die Gesetze in ihren Händen. Selbst der
König (er gehörte der Krieger-Kaste an) mußte ihrem Rate folgen. Sie
stellten das Gesetzbuch des Mann auf. Es beginnt mit der Schöpfnngs-
sage, behandelt alle Pflichten, denen der Mensch von seiner Geburt bis
zum Tode obliegen soll, und schließt mit einer Betrachtung der Seelen-
wandernng.
3. Muddka.
Diese religiöse Verirrung mochte ihren Höhepunkt erreicht haben, als
ein Königssohn von den Höhen des Himalaja herabkam und den ganzen
Olymp des Brahma, die Gesetze und die heiligen Bücher für nichtig er¬
klärte und statt der grausamen Bnßübnngen die Liebe predigte, Barm-