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IV. Vatersorgen — Vatersegen.
21. Waldlilie im Schnee.
Von Peter Rosegger.
Uns ist ein Stein vom Herzen. Das Unwetter hat sich gelegt.
Ein ganz leichter Wind ist gekommen, hat die Bäume sachte von ihren
Lasten erlöst. Ein paar mildwarme Tage sind gewesen, da hat sich der
Schnee gesetzt, und man kann mit Fußleitern gehen, wohin man will.
Es hat sich in dieser Zeit aber doch was zugetragen drüben in
den Karwässern. Der Berthold, dessen Familie von Jahr zu Jahr
wächst und von Jahr zu Jahr weniger zu essen hat, ist ein Wilderer
geworden.
Ist also ein Wilderer geworden, der Berthold. Das Holzen wirft
viel zu wenig ab für eine Stube voll von Kindern. Ich schicke ihm an
Lebensmitteln, was ich vermag; aber das genügt nicht. Für das
kranke Weib eine kräftige Suppe, für die Kinder ein Stück Fleisch
will er haben und schießt die Rehe nieder, die ihm des Weges kommen.
Dazu tut die Leidenschaft das Ihre, und so ist der Berthold, der vor—
maleinst als Hirt ein so guter, lustiger Bursch gewesen, durch Armut,
Trotz und Liebe zu den Seinigen recht sauber zum Verbrecher heran—
gewachsen. Einmal schon bin ich vor dem Förster bittend gelegen, daß
er es dem armen Familienvater um Gottes willen ein wenig, nur ein
klein wenig nachsehen möge, er werde sich gewiß bessern, und ich wolle
mich für ihn zum Pfande stellen. Bis zu diesen Tagen hat er sich nicht
gebessert; aber das Geschehnis dieser wilden Wintertage hat ihn laut
weinen gemacht; denn seine Waldlilie liebt er über alles.
Ein trüber Winterabend ist es gewesen. Die Fensterchen sind mit
Moos vermauert; draußen fallen frische Flocken auf alten Schnee.
Berthold wartet bei den Kindern und bei der kranken Aga nur noch,
bis das älteste Mädchen, die Lili, mit der Milch heimkehrt, die sie
bei einem nachbarlichen Klausner im Hinterkar erbetteln muß. Denn
die Ziegen im Hause sind geschlachtet und verzehrt, und kommt die Lili
nur erst zurück, so will der Berthold mit dem Stutzen in den Wald
hinauf. Bei solchem Wetter sind die Rehe nicht weit zu suchen.
Aber es wird dunkel, und die Lili kehrt nicht zurück. Der Schnee—
fall wird dichter und schwerer, die Nacht bricht herein, und Lili kommt
nicht. Die Kinder schreien schon nach der Milch, den Vater verlangt
schon nach dem Wild; die Mutter richtet sich auf in ihrem Bette. „Lili!“