Großmutter und hatte die Haube tief ins Gesicht gesetzt und sah so
wunderlich aus. „Ei, Großmutter, was hast du für große Ohren!"
„Daß ich dich besser hören kann." „Ei, Großmutter, was hast du für
große Augen! „Daß ich dich besser sehen kann." „Ei, Großmutter, was
hast du für große Hände!" „Daß ich dich besser packen kann." „Aber,
Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul!" „Daß ich
dich besser fressen kann." Kaum hatte der Wolf das gesagt, so tat er
einen Satz aus dem Bett und verschlang das arme Rotkäppchen.
6. Wie der Wolf bestraft wird.
Wie der Wolf sein Gelüsten gestillt hatte, legte er sich wieder ins
Bett, schlief ein und fing an, überlaut zu schnarchen. Der Jäger ging
eben an dem Hause vorbei und dachte: „Wie die alte Frau schnarcht!
Du mußt doch sehen, ob ihr etwas fehlt." Da trat er in die Stube,
und wie er vor das Bett kam, so sah er, daß der Wolf darin lag.
„Finde ich dich hier, du alter Sünder," sagte er, „ich habe dich lange
gesucht." Nun wollte er seine Büchse anlegen, da siel ihm ein, der Wolf
könnte die Großmutter gefressen haben, und sie wäre noch zu retten, schoß
nicht, sondern nahm eine Schere und fing an, dem schlafenden Wolf den
Bauch aufzuschneiden. Wie er ein paar Schnitte getan hatte, da sah er
das rote Käppchen leuchten, und noch ein paar Schnitte, da sprang das
Mädchen heraus und rief: „Ach, wie war ich erschrocken, wie war's so
dunkel in dem Wolf seinem Leib!" Und dann kam die alte Großmutter
auch noch lebendig heraus und konnte kaum atmen. Rotkäppchen aber
holte geschwind große Steine, damit füllten sie dem Wolfe den Leib, und
wie er aufwachte, wollte er fortspringen; aber die Steine waren so schwer,
daß er gleich niedersank und sich tot fiel.
Da waren alle drei vergnügt, der Jäger zog dem Wolfe den Pelz
ab und ging damit heim, die Großmutter aß den Kuchen und trank den
Wein, den Rotkäppchen gebracht hatte, und erholte sich wieder, Rotkäppchen
aber dachte: „Du willst dein Lebtag nicht wieder allein vom Wege ab in
den Wald laufen, wenn dir's die Mutter verboten hat."
Brüder Grimm. Kinder- und Hausmärchen. Große Ausgabe, 18. Aufl. Berlin, Hertz, 1883, S. 105.
39. Frau Holle« Von Jabob u. Wilhelm Grimm.
Eine Witwe hatte zwei Töchter, von diesen war die eine schön
und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die
häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und
die andere mußte alle Arbeit tun und der Aschenputtel im Hause
sein. Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die große Straße
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