Das Oströmische Reich.
147
§ 61. Das Oströmische Reich.
1. Justinian. Das Oströmische (Byzantinische, Griechische) Reich hatte
noch eine kurze Glanzperiode unter Justinian um 550. Er begann seine
Tätigkeit mit der Ordnung des römischen Rechts. Wie vor einem Jahr-
tausend zehn Männer die Grundlagen des römischen Rechts befestigt hatten,
beauftragte er zehn Rechtsgelehrte, das Werk zu vollenden. Sie sammelten
die im Laufe der Zeit erlassenen Gesetze und die wichtigsten Erläuterungen
aus den Schriften der Rechtsgelehrten und fügten ein Lehrbuch des römischen
Rechts hinzu. Das Ganze, später Corpus iuris genannt, gewann für
die Rechtswissenschaft des späteren Mittelalters und der Neuzeit große Be-
beutung.
Großen Einfluß übte anf den Kaiser seine Gemahlin Theodora, die
Tochter eines Bärenwärters im Zirkus. Eine Meisterin der Intrige, suchte
sie die Zirkusparteien der Blauen und Grünen miteinander zu verfeinden,
veranlaßte aber dadurch eine gefährliche Empörung der beiden Parteien
gegen die Regierung. Nach sechstägigem Straßenkampf, in dem ein großer
Teil von Konstantinopel in Flammen aufging, unterdrückten Belisar und
Narses die Empörung durch die Ermordung von 30000 Menschen im Zirkus.
Unter den durch Feuer zerstörten Gebäuden war auch die von Konstantin
stammende Kirche der göttlichen Weisheit; Justinian ließ eine neue Sophien¬
kirche, weit prächtiger als die alte, erbauen.
Die Sophienkirche ist das bedeutendste Werk des byzantinischen Baustils,
dessen Vorbild der altrömische, kuppelgedeckte Rundbau, und dessen Hauptmerkmal die
Zentralanlage mit Kuppelbau ist. Statt des Quadrats finden wir als Grundriß by-
zantinischer Kirchen auch den Kreis, das Achteck und das griechische Kreuz.
Auch nach außen hatte Justiuian großen Erfolg. Als er die Donau-
grenze gegen die Einfälle der Slawen und Bulgaren durch eine Reihe von
Festungswerken gesichert glaubte, unternahm er bie Wiederherstellung des
alten Römischen Reiches, indem er durch Belisar Nordafrika, durch Belisar
und Narses Italien eroberte.
Unter Justinian brachten griechische Mönche aus dem Morgenlande die
ersten Seidenraupen in ihren hohlen Pilgerstäben nach Europa.
2. Die Zeit nach Justinian. Nach Justiuians Tode ging das Byzan-
tinische Reich einem raschen Verfall entgegen. Italien ging bald wieder
verloren, und in den folgenden Jahrhunderten wurden die Slawen, die
Perser und die Araber gefährliche Feinde. Die Slawen machten furcht-
bare Verwüstungszüge durch die ganze Balkanhalbinsel, wobei ein großer
Teil der altgriechischen Bevölkerung unterging. Im Norden ließen sich die
Kroaten, die Serben und die Bulgaren nieder und wurden allmählich von
Konstantinopel aus zum Christentum bekehrt.
10*