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Aufgangs- und der Untergangspunkt der Sonne rücken beide wieder
täglich mehr dem Osten und dem Westen zu; der Bogen, den sie
am Himmel beschreibt, wird nicht bloß nach und nach kleiner,
sondern auch niedriger. Gehen wir dem Ende des Monats Sep¬
tember zu, so geht die Sonne wieder genau im Osten auf und
genau im Westen unter: sie macht nun denselben Lauf wie vor
einem halben Jahre.
Ganz anders als im Sommer äst es zur Winterszeit. Immer
länger läßt morgens die Sonne auf sich warten, und immer früher
nimmt sie abends von uns Abschied. Fast scheint es, als wollte
sie uns bald ganz verlassen. Ihr Ausgangspunkt und ihr Untergangs¬
punkt rücken immer weiter nach Süden; kleiner und kleiner wird
der Weg, den sie am Himmel zurücklegt. Die Tage werden so
kurz, daß wir unsern Morgenkaffee wohl noch beim Schimmer
der Lampe einnehmen und an trüben Tagen, wo es regnet oder
schneit, bereits einige Stunden nach Mittag wieder Licht anzünden
müssen. Doch haben wir die langen Abende gern, wo wir im
warmen Zimmer bei dem traulichen Schein der Lampe behaglich
beieinander sitzen. — An den kürzesten Tagen, um Weihnachten,
erhebt sich die Sonne selbst mittags nur wenig über den Gesichts¬
kreis; ihre matten Strahlen fallen sehr schräg auf die Erde
und verbreiten wenig Wärme. Da ist die Luft denn oft eisig
kalt. Nicht lange nach Weihnachten werden die Tage länger, und
bald empfinden wir mittags die wohltuenden warmen Strahlen der
höher steigenden Sonne. Jung und alt sieht voll Hoffnung und
Freude der Zeit entgegen, wo die Frühlingssonne alles zu neuem
Leben weckt.
Die Sonne ist die gütige Mutter der Erde, welche allezeit
getreulich um sie ist und sie liebevoll pflegt und nährt. Unter
ihrem freundlichen Blicke wachsen und gedeihen Bäume und
Blumen, Menschen und Tiere. Darum wenden sich freudig alle
Augen der 'goldenen Kugel zu, wenn sie morgens sich leuchtend
aus dem Osten erhebt, und schauen mit Wehmut und Dank
ihr nach, wenn sie abends von uns scheidet. Ist die Sonne ver¬
schwunden, so gucken vom dunklen Himmel freundlich die Sterne
hernieder, wenn ihnen nicht etwa die Wolken eine Decke vor
die hellen Augen hängen. Oft wandelt zwischen den Sternen der
Mond einher und bescheint die Erde mit seinem schönen, milden
Silberglanze.