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„Ich singe, wie der Vogel singt,
der in den Zweigen wohnet;
das Lied, das aus der Kehle dringt,
ist Lohn, der reichlich lohnet.
5 Doch darf ich bitten, bitt' ich eins:
Laß mir den besten Becher Weins
in purem Golde reichen."
Tr setzt ihn an, er trank ihn aus:
„D Trank voll süßer Labe!
G wohl dem hochbeglückten Haus,
wo das ist kleine Gabe!
Ergeht's euch wohl, so denkt an mich,
und danket Gott so warm, als ich
für diesen Trunk euch danke."
Johann wolfgang von Goethe.
54. Schwäbische Kunde.
io Rls Kaiser Rotbart lobesam
zum heil'gen Land gezogen kam,
da mußt er mit dem frommen Heer
durch ein Gebirge, wüst und leer.
Daselbst erhub sich große Not,
15 viel Steine gab's und wenig Brot,
und mancher deutsche Reitersmann
hat dort den Trunk sich abgetan;
den Pferden war's so schwach im Magen,
fast mußt' der Reiter die Mähre tragen,
so Run war ein Herr aus Schwabenland
von hohem wuchs und starker Hand;
des Rdßlein war so krank und schwach,
er zog es nur am Zaume nach;
er hätt' es nimmer aufgegeben,
25 und kostet's ihn das eigne Leben.
So blieb er bald ein gutes Stück
hinter dem Heereszug zurück;
da sprengten plötzlich in die Csuer'
fünfzig türkische Reiter daher.
30 Die Huben an, auf ihn zu schießen,
nach ihm zu werfen mit den Spießen.
Der wackre Schwabe forcht sich nit,
ging seines Weges Schritt vor Schritt,
ließ sich den Schild mit Pfeilen spicken
und tät nur spöttlich um sich blicken,
bis einer, dem die Zeit zu lang,
auf ihn den krummen Säbel schwang.
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