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Der Prinz gab dem Pferde die Sporen, jagte nach den Weinbergen,
erkundigte sich und brachte dem Vater seine Meldung. Der könig
sagte im Augenblicke nichts, aber alte Offiziere ergriffen die Hand
des Prinzen, der so ruhig in den Kugelregen geritten war, und
drückten sie mit VWärme. Auch der König hatte seine Freude an
seinem Sohne gehabt; denn er verlieh ihm wenige Tage später
das Eiserne Kreuz. Kaiser Alexander fügte diesem noch einen
Orden für Tapferkeit vor dem Feinde hinzu. Beide Ehrenzeichen
hat Kaiser VWilhelm bis an sein Ende immer getragen; sie sind
ihm auch, wie er es gewünscht hatte, in das Grab mitgegeben
worden; denn er hielt sie hoch, weil er sie sich verdient hatte,
und war stolz auf sie.
175. Raiser Milhelm J. am Rrankenbette eines deutschen
Soldaten. von Richard Lauxmann.
Gedenkblätter aus dem Heldenkampfe Deutschlands mit Frankreich 1870 und 1871.
III. Band. Heilbronn 1873. 8. 172.
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C Tages durchschritt der edle deutsche Kaiser Wilhelm die Lazarett—
säle zu Versailles, wie er häufig zu tun pflegte. überall tröstete
er, und oft war es schon der bloße Anblick seines lieben, freundlichen
Gesichts, der die armen Verwundeten auf Augenblicke ihre Schmerzen
vergessen ließ. — So trat er diesmal auch zu der Lagerstätte eines
jungen, verwundeten Infanteristen. Der war infolge eines Schlafpulvers
eingeschlummert und hatte sein Album von Gedichten auf dem Bett
offen liegen lassen. Der König trat leise, um den armen Verwundeten
nicht zu stören, hinzu, nahm den neben dem Album liegenden Bleistift
und schrieb die wenigen Worte hinein:
„Mein Sohn, gedenke deines treuen Königs!
Wilhelm.“
Der Soldat erwachte, und reiche Tränen perlten ihm beim Anblicke
dieser Zeilen aus den Augen.
Wenige Tage darauf besuchte der Kaiser wiederum das Lazarett
und trat fofort auf unsern Infanteristen zu, drückte ihm freundlich die
Hand und tröstete ihn. Dieser war jedoch schon vom Tod als sichere
Beute erlesen worden; wachsbleich, mit halbgebrochenen Augen starrte
er ins Leere. Kaum hatte er aber seinen König erkannt, als er sich
auch mit der letzten Kraft seines Körpers emporrichtete, den König mit
leuchtenden Augen anblickte und sagte: „Majestät, ich werde Ihrer ewig
gedenken, auch dort oben — Amen.“ Der Verwundete sank ermattet
zurück, und ein leises Röcheln verkündete, daß er ausgelitten hatte. —
Der Kaiser trat herbei, drückte ihm die Augen sanft zu, und eine Träne
rollte dem greisen Fürsten in seinen weißen Bart.