Full text: [Teil 4 = Kl. 5 u. 4, [Schülerbd.]] (Teil 4 = Kl. 5 u. 4, [Schülerbd.])

S 235 
Der Prinz gab dem Pferde die Sporen, jagte nach den Weinbergen, 
erkundigte sich und brachte dem Vater seine Meldung. Der könig 
sagte im Augenblicke nichts, aber alte Offiziere ergriffen die Hand 
des Prinzen, der so ruhig in den Kugelregen geritten war, und 
drückten sie mit VWärme. Auch der König hatte seine Freude an 
seinem Sohne gehabt; denn er verlieh ihm wenige Tage später 
das Eiserne Kreuz. Kaiser Alexander fügte diesem noch einen 
Orden für Tapferkeit vor dem Feinde hinzu. Beide Ehrenzeichen 
hat Kaiser VWilhelm bis an sein Ende immer getragen; sie sind 
ihm auch, wie er es gewünscht hatte, in das Grab mitgegeben 
worden; denn er hielt sie hoch, weil er sie sich verdient hatte, 
und war stolz auf sie. 
175. Raiser Milhelm J. am Rrankenbette eines deutschen 
Soldaten. von Richard Lauxmann. 
Gedenkblätter aus dem Heldenkampfe Deutschlands mit Frankreich 1870 und 1871. 
III. Band. Heilbronn 1873. 8. 172. 
* 
C Tages durchschritt der edle deutsche Kaiser Wilhelm die Lazarett— 
säle zu Versailles, wie er häufig zu tun pflegte. überall tröstete 
er, und oft war es schon der bloße Anblick seines lieben, freundlichen 
Gesichts, der die armen Verwundeten auf Augenblicke ihre Schmerzen 
vergessen ließ. — So trat er diesmal auch zu der Lagerstätte eines 
jungen, verwundeten Infanteristen. Der war infolge eines Schlafpulvers 
eingeschlummert und hatte sein Album von Gedichten auf dem Bett 
offen liegen lassen. Der König trat leise, um den armen Verwundeten 
nicht zu stören, hinzu, nahm den neben dem Album liegenden Bleistift 
und schrieb die wenigen Worte hinein: 
„Mein Sohn, gedenke deines treuen Königs! 
Wilhelm.“ 
Der Soldat erwachte, und reiche Tränen perlten ihm beim Anblicke 
dieser Zeilen aus den Augen. 
Wenige Tage darauf besuchte der Kaiser wiederum das Lazarett 
und trat fofort auf unsern Infanteristen zu, drückte ihm freundlich die 
Hand und tröstete ihn. Dieser war jedoch schon vom Tod als sichere 
Beute erlesen worden; wachsbleich, mit halbgebrochenen Augen starrte 
er ins Leere. Kaum hatte er aber seinen König erkannt, als er sich 
auch mit der letzten Kraft seines Körpers emporrichtete, den König mit 
leuchtenden Augen anblickte und sagte: „Majestät, ich werde Ihrer ewig 
gedenken, auch dort oben — Amen.“ Der Verwundete sank ermattet 
zurück, und ein leises Röcheln verkündete, daß er ausgelitten hatte. — 
Der Kaiser trat herbei, drückte ihm die Augen sanft zu, und eine Träne 
rollte dem greisen Fürsten in seinen weißen Bart.
	        
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